Es ist ein Weilchen her, dass ich gespannt auf eine Ausgabe des Spiegel gewartet habe, aber nach der Ankündigung einer Reportage von Alexander Osang über Frauke Petry in der letzten Woche war ich neugierig.
Osang ist mir schon in den 90ern als genauer Beobachter und erstklassiger Erzähler aufgefallen, und er hat eine gewisse Skepsis den eigenen Vorurteilen gegenüber. Ich würde sagen, er hat davon – Skepsis, nicht
Vorurteile – mehr als die meisten Journalisten, jedenfalls in dieser Republik. Wahrscheinlich ist es nicht ganz einfach, sich das zu erhalten, wenn's einen dauerhaft in die upper middle class verschlagen hat. Lauter aufgeklärte, fortschrittlich denkende Leute, die »bewusst leben«, überdimensionierte, aber schadstoffarme Autos fahren und das eigene Weltbild nicht für Ideologie, sondern die größte Selbstverständlichkeit des Universums halten.
Meine Welt ist das nicht, aber wenn sie's wär, würde ich wahrscheinlich auch nicht freiwillig weggehen. Wohin auch? Vielleicht bilde ich es mir nur ein, aber ich habe das Gefühl, Osang spürt, wie brüchig und hohl das alles ist. Obwohl er in der bürgerlichen Mitte, also der besten der Welten, lebt, traut er dem Frieden irgendwie nicht. Vielleicht ist es das, was ich an Osang am meisten mag.
Ich hab die Spiegel-Geschichte über Frauke Petry dann gelesen und zum Schluss hin nur noch überflogen. Wahrscheinlich ist das keins von Osangs stärksten Porträts. Er kommt ihr doch nicht so nahe, wie er das am Anfang befürchtet und wie
ihm das bei vielen anderen Leuten, ob er sie nun mochte oder nicht, in
den letzten Jahrzehnten gelungen ist. Frauke Petry bleibt merkwürdig
umrisshaft.
Aber es gibt an diesem Text etwas unerhört Starkes, und das ist paradoxerweise der offene Umgang des Autors mit seiner eigenen Ratlosigkeit. Die Irritation
über die Diskrepanz zwischen Petrys im Großen und Ganzen sympathischen
Auftreten und der, nun ja, autoritären, auf Angst und Hass aufbauenden Politik, die sie strategisch kühl und klug
verfolgt.
Stefan Niggemeier, zweifellos einer der klügsten Medienkritiker des Landes, moniert in seinem Blog uebermedien.de, der Artikel handele »an vielen Stellen gar nicht von Frauke Petry, sondern von Alexander Osang«. Das mag schon sein, aber Osang ist kein Selbstdarsteller, sondern ein Mensch, der durch den »Wald der Dinge« geht, und sich wundert. Und das ist offensichtlich etwas, mit dem manche Leute, auch intelligente, warum auch immer, nichts anfangen können. Na gut. Für mich ist es ganz und gar kein Fehler, dass der Reporter seine eigene, subjektive Irritation thematisiert. Die gehört nun mal zur Situation, und ist deshalb eben nicht nur subjektiv, sondern zugleich auch Teil der objektiven Realität. Ich verstehe sofort, was er meint. Versteht Ihr, was ich meine, geschätztes Fachpublikum? Eben. Es ist nicht so banal, wie es klingt.