31. Dezember 2001 Das Allied Press International Center, Hauptquartier des Nato-Pressestabes im Continental Hotel, Skopje, am Boulevard Alexander Makedonski. Die Presseoffiziere und CIA-Agenten hier machen zwar nicht soviel Tamtam wie Hauptmann D. von der Bundeswehr-Mission, sind aber deutlich professioneller. “Sind sie auf eigene Faust hergekommen?” fragt mich ein deutscher Offizier. “Im Gastarbeiterbus, nicht mit der Transall? Sie wollen sich zwei Wochen lang auf eigene Faust im Land umsehen? Nicht nach drei Tagen wieder zurückfliegen?”
Sage ich: “Das scheinen wohl nicht viele so zu machen.” “Ich habe das nicht ein einziges Mal erlebt”, sagt der Mann. “Normalerweise läuft das so: Ihre Redaktion schickt Sie für drei Tage her. Sie steigen in Frankfurt in die Transall, der Hauptmann führt Sie durchs Camp, Sie machen eine Spazierfahrt mit einer Patrouille, einen Bummel durch Skopje - bisschen sight seeing, shopping, Nachtleben - und dann ab nach Hause.” Es ist ganz klar, warum die Berichterstattung der Mainstream-Medien so ist, wie sie ist. Im Übrigen halten uns die Jungs hier für völlig verrückt.
1. Januar 2002 Skopje ist eine zweigeteilte Stadt Links des Flusses Vardar liegt der muslimische Teil, rechts der slawisch-orthodoxe. Internetcafés gibt es in Skopje, wie in allen Großstädten armer Länder, zuhauf. Und wie überall auf der Welt sind die meisten bessere Telefonierläden, in die man ein paar Computer gestellt hat. Aber mindestens eins, das die Bezeichnung “Café” zurecht trägt, habe ich gefunden. Es befindet sich im orthodoxen Teil. Hier treffen sich Panslawisten, Anarchisten, Nihilisten, Titoisten und Nationalisten, Poeten und Apologeten aller Richtungen. Wir kamen von einem Spaziergang durchs muslimische Skopje und wollten eben noch ein paar Briefe nach Hause absetzen. Durchgefroren wie ich war, bestellte ich einen “turskij caj” (türkischen Tee). Der Kellner war offenbar etwas zart besaitet. Er sah mich an, als hätte ich altes Abwaschwasser bestellt. “Turskij???” fragte er und machte ein Gesicht, als müsste er spucken. “Caj”, sagte ich.
“We have Earl Grey, Indian, Ceylon Blend, Lipton yellow and black label ..”, flötete das Jüngelchen.
“Caj, cerny caj”, sagte ich und bekam Lust, den Kerl am Kragen zu packen. “What so ever, a fucking cup of tea …”
2. Januar 2002 Die albanischen Hardliner legen Bomben, die orthodoxen sammeln Unterschriften Gegenüber vom Parlamentsgebäude Zelte, Unterschriftenlisten, Fotos von verstümmelten und misshandelten Opfern der albanischen Guerrilla, Bilder, die man in der westlichen Presse nie sah. Ein paar finstere Gestalten, slawische Bauern, Vertriebene aus Westmazedonien, dem umkämpften Grenzgebiet zum Kosovo. “Wenn man uns nur ließe - wir würden mit den Terroristen schon fertig werden.” Ein Bauer, der besoffen in der Ecke hängt. Immer wenn jemand “Terroristen” und “fertigmachen” sagt, wacht er kurz aus seinem Delirium auf, schlägt sich vor die Brust und ruft: “Wie Alexander der Große!” - nur um sofort wieder in Ohnmacht zu fallen. Das sind also die slawo-mazedonischen “Hardliner”. Ein paar verbitterte, unrasierte Bauern, die meisten haben Haus und Hof, einige ihre Angehörigen verloren. Die albanischen Hardliner legen Bomben, die orthodoxen sammeln Unterschriften.
P. S. 22. Juni 2002 Die albanische Revolution Mazedonien hätte auseinander brechen können, als die Flüchtlingswelle aus dem Kosovo auf dem Höhepunkt war (1999). Dass die albanische Guerrilla erst losschlug, als die Flüchtlinge lange wieder weg waren, spricht Bände über diese “Revolution”.
P. S. (II) 14. August 2002 Man muss Mazedonien studieren - im Zusammenhang mit dem Jugoslawienfeldzug 1999 und der westlichen Politik gegenüber dem Balkan, dem Kaukasus, Russland und der Ölregion ums Kaspische Meer. Die unterschiedlichen Interessen der Großmächte. Man muss genau hinschauen, wie Deutschland, nun außenpolitisch wieder souverän, aktiv wird, wie es sich angesichts der vorhandenen Alternativen entscheidet, wohin es geht. Das ist wichtig für uns Deutsche, um die Risiken abschätzen zu können, und es ist wichtig für die anderen, damit sie wissen, was sie von uns zu erwarten haben. Doch vor allem die Deutschen wären gut beraten, sich über die Militäraktionen, an denen sie beteiligt sind, zu informieren, weil sie als Bürger eines demokratischen Regimes letztendlich dafür verantwortlich sind, und das kann unangenehme Konsequenzen haben. Was immer darüber geschrieben und spekuliert worden ist, der 11. September 2001 steht natürlich in direkter Beziehung mit dem politischen und militärischen Engagement der USA im Nahen Osten während der letzten 20 Jahre. Die Intervention in Mazedonien (”Essential Harvest”, “Amber Fox”) war der erste Nato-”out of area”-Einsatz unter deutscher Führung, aber nach dem 11. September hatten das in Deutschland alle vergessen. Nun war der 11. September 2001 sicher der schlechteste Anlass für eine Nation, das Reflektieren der eigenen Außenpolitik zu vergessen.
P. S. (III) 30 Oktober 2002 Brief an Major Uli Schweitzer, Kommandeur bei der Task Force Fox in Mazedonien Sehr geehrter Major Uli Schweitzer! Es ist jetzt ziemlich genau zehn Monate her, dass mein Kollege B. K. und ich Sie bei einer Patrouillenfahrt durch Kumanovo, Opae und Matejce begleitet haben. Sie erinnern sich vielleicht, es war ein paar Tage nachdem Sie und Ihre Leute in Kumanovo sich einen eigenen Internetzugang gebastelt hatten, und der Captain war ziemlich perplex, weil offiziell oder seiner Ansicht nach nur der Pressestelle einer zustand. Eine Kleinigkeit, aber mir gefiel’s. Offenbar war die Bundeswehr immer noch eine Armee unter einen halbwegs demokratischen Regime, und man musste damit rechnen, dass es bei der Truppe auch ein paar pfiffige Leute gab, die sich nicht immer hundertprozentig so verhielten, wie es ihre Vorgesetzten von ihnen erwarteten. Diese kleine Spazierfahrt durch das bedauernswerte Matejce hat mir damals zwar nicht die Augen geöffnet für das, was in Mazedonien los war (das kam später), aber ich wollte mich trotzdem nochmal bedanken, dass Sie uns mitgenommen haben. Die zerstörten Häuser, die zerschossenen Moscheen, die Minenfelder waren bedrückend. Was mir aber am meisten zu denken gab, war ein T-54-Panzer, den man auf den Rücken gelegt hatte wie einen Mistkäfer. Ich habe ein Weilchen herumgerätselt und, ehrlich gesagt, hat mir dieser auf dem Rücken liegende Russentank damals ein bisschen Respekt für die albanische Guerrilla abgenötigt. Später fing ich an zu begreifen, was in diesem Land vor sich ging, und was unsere Rolle in diesem Spiel war. Nun ja, und ich glaube, der umgekippte T-54 hat mir dabei ein bisschen auf die Sprünge geholfen.
Die “National Liberation Army”, UCK, ANA, AKSH oder wie immer sich der nationalistische Mob, der in Matejce gewütet hatte, auch genannt haben mag, hatte diesen Panzer aller Wahrscheinlichkeit nach kampflos erobert und nicht besseres damit anzufangen gewusst, als ihn umzukippen. Das ist nicht so schwer, wie es sich zunächst anhört. Man fährt mit einer Kette eine Rampe hoch, ein paar Sandsäcke oder einfach einen Trümmerhaufen. Davon hatten sie ja genug in Matejce. Naja, für den letzten Rest braucht man dann vielleicht noch ein paar Männer die mit anpacken. Später ließen sich die Jungs von so dussligen West-Journalisten wie uns in Siegerpose vor dem Wrack ablichten und erzählten die Geschichte von der glorreichen UCK-Panzernahbekämpfung. Die albanische Guerrilla hatte überhaupt alles kampflos erobert - oder genauer: in einem Kampf, in dem der Gegner (hier die mazedonische Regierung oder “die Army”, um in Ihrem Jargon zu bleiben) nicht zurückschießen durfte. Ihr Job in diesem Spiel war es, darauf zu achten, dass “die Army” auch tatsächlich nicht zurückschoss. Buchkovski musste den Waffenstillstand akzeptieren und seine Panzer stehen lassen, wo sie gerade standen - nicht mal in die Kasernen durften sie zurückfahren. Ich schätze, Javier Solana, Joschka Fischer und dieser unsympathische Joscha Schmierer hatten sich das ausgedacht, und die Typen waren wahrscheinlich auch noch stolz darauf. Ich sag Ihnen mal was. Unter solchen Voraussetzungen mach ich auch Panzernahbekämpfung. Verstehen Sie mich richtig. Ich halte Sie für einen integren Menschen, und Ihre Professionalität steht außer Zweifel. Das ist eine wertvolle Kombination. Wenn ein Reporter an die Front fährt, wünscht er sich einen Soldaten wie Sie als Begleiter. Aber all das macht die Politik nicht klug, der Sie folgen müssen. Alles Gute für Sie, wohin auch immer Ihr Minister Sie jetzt abkommandiert hat. Kommen Sie nicht im Plastiksack nach Hause. Ziehen Sie den Terroristen die Hammelbeine lang und bleiben Sie wie Sie sind. Ich würde mich freuen, Sie lebend wiederzusehen …