Eine halbe Bootsstunde vor Santa Pola liegt die Insel Tabarca, auf der ein paar Dutzend genuesischer Fischerfamilien wohnen, seit sie die Spanier im 18. Jahrhundert aus der tunesischen Kriegsgefangenschaft befreiten.
Die Genuesen beschützten die Stadt vor Piraten.
Die Fischgründe vor Santa Pola sind reich. Täglich versteigert die Cofradía de Pescadores am Hafen ihren Fang an die Händler und Gastwirte.
Wir standen in Santa Pola und warteten auf unseren Bus. Ich war ein bisschen nervös, denn die Bushaltestelle war direkt vor der Polizeistation der Guardia Civil, und ich dachte: Irgendwann wird ein Auto in dieser sympathischen kleinen Stadt ankommen, in dem ein paar junge Leute aus dem Norden sitzen, das Auto ist gestohlen, und hinten, im Kofferraum, bringen sie nichts Gutes mit. Es war der 14. Juni 2002.
Vielleicht stand das Auto ja schon da. Mehrere Wagen parkten auf dem Seitenstreifen, zwischen Haltestelle und Polizeirevier, naja, das waren nur zehn, fünfzehn Meter. Eine Polizistin stand in der Tür, Mitte-Ende Zwanzig, lachte, sagte irgend etwas zu den Kindern, die im Hof spielten. Es kann nicht sein, dass hier fremde Autos parken, dachte ich, so leichtsinnig ist die Guardia nicht. Aber ich hätte auch nicht darauf gewettet.
Noch nie war hier etwas passiert, noch nie. Es wäre sehr einfach, eine Autobombe zu legen. Irgendwann würde sie genau hier an dieser Stelle hochgehen, mitten in diesem Wohnviertel an der Ausfallstraße. Es war nur eine Frage der Zeit. Es würde Verletzte, vielleicht Tote geben. Ein paar Provinzrevoluzzer in Pamplona würden die Sache unter dem Jubel ihrer halbwüchsigen Fans zu einer patriotischen Heldentat aufblasen, und bei den ersten Ermittlungen der Staatsanwaltschaft über die Repression der “Besatzungsmacht” jammern. Und dann würden in den verschiedensten Winkeln und auch in Deutschland so genannte Linksintellektuelle der ETA völlig ungefragt mit spitzfindigen Argumenten beispringen, von “der Tradition des antifranquistischen Widerstands” und von “nationalem Sebstbestimmungsrecht” und “antikapitalistischer sozialer Bewegung” faseln, studentische Teilzeitrevolutionäre im Chor mit ihren kompatiblen C4-Professoren.
Das alles ging mir durch den Kopf, als ich an der Bushaltestelle in Santa Pola stand und ungeduldig auf den Bus wartete und Britta kein Wort davon erzählte. Ich konnte ihr ja schlecht sagen: “Hoffentlich kommt unser Bus, bevor die Bombe platzt.” Denn obwohl sie mich mag, hält sie mich ohnehin schon für einen schrägen Vogel, und ich darf den Bogen auch nicht überspannen. Der Bus kam, wir stiegen ein, fuhren nach Hause. Dann vergaß ich die Sache mehr oder weniger.
Die Bombe explodierte sechs Wochen und zwei Tage später, am 4. August, ohne jegliche Vorwarnung. Ein 58-jähriger Mann und ein sechsjähriges Mädchen starben, 40 Leute wurden verletzt, einige schwer. Eine Nachrichtenagentur schrieb beiläufig, dass es sich bei dem Mädchen um “die Tochter eines Polizeioffiziers” der “paramilitärischen Guardia Civil” gehandelt hätte.