1. März 2004

Die Andalusien-Expedition, Dezember 2003

Ich wollte meine paar Tage Resturlaub nicht verfallen lassen, also musste ich noch mal los.

Im November hatte ich den Plan gefasst und meine Reise in Gedanken begonnen. Auf dem Weg zur Arbeit ging ich bei Th. Mischkes Geographischer Buchhandlung Atlantis an der Weberwiese vorbei und kaufte mir das Andalucía Guidebook von Lonely Planet.

Ich liebe die Bücher von Lonely Planet, sie sind praktisch und poetisch zugleich - naja, und nicht zuletzt mag ich den Namen: "Lonely Planet".

Wenn Du richtig reisen willst, musst Du allein reisen, hat mir mein Hausarzt Dr. Grunow geraten - aber als ich am 7. Dezember 2003 gegen vier aus dem Bett sprang, war ich doch froh, dass mich meine zwei Mädels zum Flughafen brachten und mehr noch, dass sie mein Auto wieder zurück fuhren.

Die Boeing 737 fliegt drei Stunden von Berlin nach Málaga, und wenn du die erste Maschine nimmst, kannst du den Sonnenaufgang über den Alpen sehen.

Fliegen ist schön, aber ich bin immer froh, wenn ich wieder Festland unter den Füßen habe, und besonders schätze ich das Gefühl von tierra extranjera. Der Flughafen von Málaga ist Andalusiens Haupteinflugschneise. Alle paar Minuten landen Flugzeuge aus Berlin, Amsterdam, London, Bilbao.

Ich griff meinen 11-Kilo-Rucksack vom Gepäckband und ging in die Halle. Drei Dutzend schnauzbärtige Andalusier bildeten ein Spalier, sie trugen Transparente, wie bei einem Protestmarsch: "¡Rent a car! ¡Más barrato!".

Ich ging weiter, vorbei an den Taxifahrern (¿"Marbella, Señor?") zur Bushaltestelle der Linie 19, Richtung Stadtzentrum.

Ein Typ, der aussah, als ob er schon eine Weile Pleite war, quatschte mich im Bus schräg von hinten an. "Do you speak English? Where are you going?"

"Málaga City", sagte ich.

Ich stieg an der Plaza de la Solidaridad aus und ging zum Busbahnhof. Eine Viertelstunde später saß ich im Bus nach Granada.

Die Montes de Málaga waren jetzt im Winter erstaunlich grün: überall Gras, Krüppelkiefern, Gestrüpp, Olivenhaine und surrealistische Pappelplantagen.

Ich schlief so gut man auf einem Platz am Mittelgang schlafen kann. Nach anderthalb Stunden kamen wir in Granada an.

Der Busbahnhof von Granada liegt etwa drei Kilometer nordwestlich vom Zentrum an der Landstraße nach Jaén und hat eine ausgezeichnete cafetería. Ich bestellte ein bocadillo mit lomo serranito und einen cortado.

Der cortado war gut, aber das war ja nichts besonderes. Ich habe in Spanien nur einmal schlechten Kaffee bekommen - in Es Pujols auf Formentera, einem netten Küstenort, dem allerdings dreißig Jahre rheinländischer Tourismus seinen Stempel aufgedrückt haben. Insidern ist die Gemeinde auch bekannt unter den Namen "Düsseldorf-Süd" oder "Puschelshausen". Und ehrlich gesagt war auch der Puschelshausener Kaffee nicht wirklich schlecht - es war nur, dass er grad den Boden der Espressotasse bedeckte, aber dennoch unverschämt überteuert war.

An dem cortado in der estación de autobuses de Granada war nichts auszusetzen, aber mein bocadillo war riesig und kam warm aus dem Ofen. Ich legte drei Euros auf den Tresen und ging mit meinem Rucksack auf der Schulter und Teller und Kaffetasse in der Hand in den Speiseesaal.

Wie wir Deutschen das so machen, schaute ich mich um nach einem Tisch, an dem niemand saß, bis ein älterer compañero mit abgewetzer Lederjacke und ducado im Mundwinkel ungeduldig "¡Hombre!" rief und mir mit dem Fuß einen Stuhl hinschob.

Jetzt war ich angekommen.

Ich nickte und setzte mich. Er rauchte seine ducado und ging irgendwelche Zettelnotizen durch. Ich kaute glücklich an meinem bocadillo. Wir wechselten kein Wort. Er sah aus wie ein pensionierter Busfahrer. Später holte ihn seine Tochter ab, sie war hübsch. Er nickte kurz zum Abschied. Ich mochte diese schroffe Art spanischer Arbeiter, Freundliches zu tun, ohne dabei irgendwie höflich zu sein.

Ich ging die drei Kilometer ins Zentrum zu Fuß und fand schließlich die Pensión Venecia, die Lonely Planet so warm empfohlen hatte ("it's warm in winter and the owners even bring you a soothing herbal infusion to drink each morning"), aber alle Zimmer waren belegt. Dasselbe bei drei, vier weiteren hostales in der Cuesta de Gomerez. Schließlich stieg ich im "Hospital Santa Ana" ab, einer netten, sauberen Herberge, nicht ganz billig, aber ich hatte keine Lust mehr, weiter zu suchen.

Ich duschte, wusch mein Hemd und meine Socken und machte eine Erkundungstour durchs Gelände.

Granada ist schön, doch selbst Anfang Dezember ist dort immer noch viel Rummel. Autos und Busse quetschen sich durch die engen Gassen des Albaycín (das alte muslimische Viertel), weil man den kurzatmigen Pauschalbesuchern den Aufstieg zur Alhambra nicht zumuten will oder einfach weil man zu Fuß eben nicht so viele Touristen auf einmal durchschleusen kann.

Schnorrer und Zocker beherrschen die Szenerie.

Ein ambiente, ganz nett für einen Abend.

1990, im Sommer nach dem Mauerfall, war ich zum ersten Mal in der Alhambra.

Jetzt hatte ich mir vorgestellt, den patio de los leones bei Sonnenaufgang zu betreten und Raureif auf den Löwenstatuen zu sehen.

Aber ich sah sie nicht.

Ich zahlte einen beachtlichen Preis (35 EUR) für meine winzige Kammer im Hospital Sta. Ana und beeilte mich, aus dieser Stadt zu verschwinden.

Ich trug meinen Rucksack auf die überfrorene Straße.

Der Wintermorgen in Granada war viel besser als der hektische Abend.

Über die Dächer des Realejo (des alten jüdischen Viertels) sah ich die schneebedeckten Gipfel der Sierra Nevada.

Am Bahnhof kaufte ich Proviant - Brot, Käse, chorizo, Oliven, horchata und Brandy de Jeréz sowie eine Fahrkarte für den Vormittagszug nach Almería.




Der Tren Regional Diesel ist schnell, bequem und billig.

Das Beste aber ist der Ausblick.




Beim Frühstück sah ich rechts die verschneite Kordillere.
Aus den Dörfern an ihrem Fuß stieg Rauch auf.




Auf der Hälfte der Strecke hält der Zug in Guadix, einer alten Bergarbeitersiedlung, mit verlassenen Fabrikanlagen aus der belle époque und Menschen, die in Höhlen wohnen - mit Satellitenfernsehen.




Guadix, beschloss ich, wäre ein lohnendes Ziel für spätere Expeditionen.




Der Zug fuhr an, und während sich rechts das schroffe Faltengebirge der Sierra Nevada endlos erstreckte, breitete sich links ein weites Hügelland aus, die ersten Ausläufer der Sierra de los Filabres, Hinterland und vorletzte Regenbarriere vor dem Achatkap.




Während die Landschaft zur Rechten dazu einlud, auszusteigen und ein Paar Skier zu schultern ...




... wurde es linksseitig immer afrikanischer, mit Dattelpalmen, verrosteten Warnkreuzen an unbeschrankten Bahnübergängen, Nopalkakteen und Windradpumpen, die wie Funktürme in der Savanne standen.




In Almería endete meine Fahrt. Ich bog am Yachthafen links ab nach Südosten und bald schon sah ich ein altes Straßenschild mit der Aufschrift "Calle Cabo de Gata". Die Calle war mittlerweile eine Avenida, wie überhaupt die ganze Stadt aus den Nähten platzt.

In Granada zeigen sie dir die arabische Vergangenheit von El-Andaluz.
In Almería siehst du unsere islamische Zukunft.

Das Bürgertum von Granada lebt von Zinsen und Renten, aber die Agrarier von Almería fordern Tribut und Fron.
Eine halbe Stunde bevor der Zug in Almería eingefahren war, hatte ich die ersten invernaderos de plastíco gesehen, Folienzelte, aus denen unsere Tomaten kommen (die Berliner Supermärkte von Aldi Nord, Lidl und Netto sind Großabnehmer). Mit Folie, Wasser aus Tiefbrunnen, schnell wachsenden Hybridsorten und reichlich nordafrikanischem Schweiß haben es die Bauern der Region geschafft, eine Monopolstellung in den europäischen Supermärkten zu erobern und - nebenbei - die andalusische Tomate nahezu auszurotten.

Ich marschierte die Uferpromenade entlang, zwischen den Ständen der Händler aus Maghreb und Schwarzafrika, fliegende Händler auf fliegenden Teppichen - ich im T-Shirt, die Marokkaner und Algerier mit Pudelmützen, die Schwarzen in Ski-Pullovern und Wollschals.

Ich ließ Almería hinter mir und lief mehrere Stunden am Strand entlang, und wie alle Migranten schleppte ich viel zu viel Zeug auf dem Rücken mit mir herum.




Ich passierte ein kleines Fischerdorf - eher ein Stützpunkt...




... und kam zur Feriensiedlung Retamar, die schon beängstigend nahe an den Naturpark herangewuchert war und wie eine finstere Roboter-Armee aus dem "Krieg der Sterne" aussah.




Unmittelbar hinter Retamar verläuft die Grenze des Parque Natural Cabo de Gata-Níjar, und wie ein unsichtbares Kraftfeld hält sie den Vormarsch der Holiday-Maschine für den Moment noch auf.




Ich überquerte die Linie gegen 17 Uhr 30.




Ich schlug mein Lager bei der Ermita de Torregarcía auf.
Jetzt war überall Schatten.




Ich würde allein bei unfreundlichem Wetter im fremden Gelände unter freiem Himmel übernachten.

Ich suchte mir einen Platz am Strand.

Wenn es regnet, wird man eine ganze Weile nur von oben nass, weil das Regenwasser im Strandsand gut versickert




Gegen Mitternacht setzte heftiger Dauerregen ein.

Es regnete vier Stunden.

Wie ich mit Hilfe meiner Teetasse feststellte, waren von den elf Zentimetern Niederschlag, die hier laut Statistik über das ganze Jahr fallen, vier allein in dieser Nacht heruntergekommen. Mein Biwaksack von Globetrotter hatte sich bewährt.

Ich trank die Tasse aus und packte meine nassen Sachen.

Dann marschierte ich Richtung Cabo de Gata.




Ich sah einen toten Delphin am Strand, er hatte eine Stichwunde hinter dem Kopf.
Seine Haut glänzte im Mondlicht wie Anthrazit.




Ich marschierte dreieinhalb Stunden am Strand, durch Dünen und Lagunen.

Ich kreuzte einen Fluss, für den ich in verschiedenen Karten zwei verschiedene Namen fand - Barranco de la Curria und Rambla de Morales.

Als es hell wurde, kam ich in das Dorf San Miguel, das man hier nur Cabo de Gata nennt.

Ich irrte eine Viertelstunde durch die Straßen und stand plötzlich an der Bushaltestelle.

Der Rest ist schnell erzählt.

Eine Viertelstunde später saß ich im Bus nach Almería. Von dort fuhr ich über Mojácar, Vera und Huercal-Overa nach Murcia, von Murcia nach Elche und war abends um halb acht an einem kleinen Ort an der valencianischen Levante, an den ich mich immer zurück ziehen kann.




Ich trocknete meine Sachen und schlief fest und lange.




Ich verbrachte ein paar stille Tage in La Marina.

Es herrschte Hochdruckwetter, mit leichtem Hochnebel, viel Sonne und schwachen Winden (vientos flojos). Ich beobachtete die verschiedenen Wolkenformen - Cirrus, Cirrostratus, Altocumulus und linsenförmige Fönwolken (Ac lenticularis), die mitunter auch "Fönfische" genannt werden.




Manchmal muss man seine Pläne auch im richtigen Moment fallenlassen können.




Das Achatkap will allerdings noch bezwungen werden.




Notiert im Dez. 2003 - Feb. 2004