Der November 2007 war ein besonders
grauer Monat, aber durch geschickte Ausnutzung des deutschen
Arbeitsrechts gelang es mir, mich für eine Woche nach Andalusien
abzuseilen.
Ich
bestieg am 25. November im Morgengrauen die Maschine nach Palma. Es
schneite, irgendein Ventil einer Hilfsturbine des Airbus A-320 fror ein,
und dann dauerte es anderthalb Stunden, bis die Tragflächen enteist
waren. Auf Mallorca verpaßte ich meinen Anschlußflug.
Immerhin entschädigte mich Air Berlin mit einem Gutschein über 15 Euro. Dennoch: An einem grauen Novembertag im Terminal C des Flughafens von Palma festzuhängen ist trist, sehr trist. Ich kam dann doch noch nach Nerja, 15 Stunden später, immerhin zu erträglicher Zeit, sieben Uhr abends. In Málaga erwischte ich meinen Bus und um eine Zehntelsekunde meinen Anschlußbus am Terminal de Autobuses an der Plaza de la Solidaridad um 17.30 von der Plattform 38. Die Fahrt kostet nicht ganz vier Euro und dauert etwa eine Stunde auf der AP-7, der Autopista del Mediterraneo.
Immerhin entschädigte mich Air Berlin mit einem Gutschein über 15 Euro. Dennoch: An einem grauen Novembertag im Terminal C des Flughafens von Palma festzuhängen ist trist, sehr trist. Ich kam dann doch noch nach Nerja, 15 Stunden später, immerhin zu erträglicher Zeit, sieben Uhr abends. In Málaga erwischte ich meinen Bus und um eine Zehntelsekunde meinen Anschlußbus am Terminal de Autobuses an der Plaza de la Solidaridad um 17.30 von der Plattform 38. Die Fahrt kostet nicht ganz vier Euro und dauert etwa eine Stunde auf der AP-7, der Autopista del Mediterraneo.
Mein
Zimmer hatte ein bequemes hartes Bett und, wie die meisten Häuser dort,
keine Heizung. Nachts schlief es sich gut in der Kälte, aber früh
kostete es Überwindung, aus dem Bett zu springen. Man mußte sich zur
Dusche hinüberretten, aus der dann zum Glück jede Menge heißes Wasser
kam.
Die
Sprachschule »Quorum« ist nur ein paar hundert Meter entfernt, klein,
hübsch, professionell, sehr sympathische Lehrer, intelligente, gebildete
und kultivierte Menschen mit bescheidenen Einkommen, wie überhaupt die
meisten Spanier mit viel bescheideneren Einkommen auskommen müssen als
man angesichts der Preise für alltägliche Güter denken könnte, die nicht
sehr viel niedriger sind als in Deutschland.
Diese
Kargheit verstehen sie aber mit einer gewissen Noblesse auszukosten.
Die Schule bot abends immer noch zusätzliche actividades an,
Filmvorführungen, Kneipentouren usw. Mein Grammatiklehrer Francisco
veranstaltete einmal ein Weinseminar. Es nahmen so sechs, sieben Leute
teil und soviel Euro kostete es auch pro Nase. Fran, der ein sehr
witziger Typ ist, besorgte drei Flaschen, blanco, rosado, tinto,
alle sehr gut ausgesucht. Er erzählte eine Menge über Anbau,
Herstellungsmethoden, Eigenschaften usw., aber das Bemerkenswerteste war
sein Fazit : Wenn Du Dich ein bißchen auskennst, kannst Du für, sagen
wir, 15 Euro einen wirklich exzellenten Wein kaufen. Wenn Ihr vier Leute
seid und zusammenlegt, könnt Ihr euch einen vergnüglichen Abend machen,
und das ist billiger, als wenn Ihr ins Kino geht. Vier Leute und eine
Flasche Wein. Das hat mir doch sehr imponiert.
Zum
ersten Mal ging ich eine Schule, in der die Lehrer jünger waren als ich
– die anderen Kursteilnehmer in meinem Alter oder eher etwas älter,
ebenfalls sehr nett. Eine belgische Pensionärin, die demnächst ihren
Lebensabend in einer urbanización an der Costa del Sol
verbringen wollte, ein finnischer Chemieingenieur, eine kaufmännische
Angestellte von VW Wolfsburg, ein Rundfunkjournalist aus Berlin.
Unterricht von 9.30 bis 15.30 (gramática, conversación, redacción, pronunciación y dudas(sic!)) Danach hast Du um diese Jahreszeit noch zwei, drei Stunden, bis es dunkel wird.
Dann zog ich entweder alleine los oder mit meinem Mitschüler und ortskundigen guía
Stephan Buchheim, der im Hauptberuf Moderator beim rbb-»Radio Berlin«
ist und seit August in Nerja eine Art Sabbat-Halbjahr verbrachte.
Ansonsten verkroch ich mich abends, wenn es auf dem Dach zu frisch wurde, unter meiner Bettdecke und las "Die Erfahrung der Welt" von Nicolas Bouvier,
einen unprätentiösen Reisebericht über eine Fahrt mit einem Fiat
Topolino von Genf über Jugoslawien, die Türkei, den Iran und Pakistan
nach Afghanistan, unternommen 1953/54.
Dieser
irre Schweizer schrieb tolle Sachen, z. B. (in Jugoslawien) "Tatsache
ist, dass der Ernst die Lieblingsware der Volksdemokratien darstellt"
und: "Es ist wirklich sonderbar, dass die Revolutionen, die doch das
Volk zu kennen behaupten, so wenig von seiner Klugheit halten und bei
ihrer Propaganda zu Schlagworten und Symbolen greifen, deren
Konformismus noch einfältiger ist, als jener, den zu bekämpfen sie
vorgeben" aber auch (als er und sein Gefährte die Rückreise antreten)
"Ich habe meinen gestempelten Pass abgeholt und Afghanistan verlassen.
Es fiel mir nicht leicht. Die Strasse ist auf beiden Seiten des Passes
gut. Wenn der Wind aus dem Osten kommt, weht dem Reisenden noch lange
vor der Höhe stossweise der reife, verbrannte Geruch des indischen
Kontinents entgegen." Oder er zitiert den US-Amerikaner Ralph Waldo
Emerson: "Das ist ein wirklicher Gewinn, denn wir haben Anrecht auf
diese befreienden Erfahrungen, und wenn wir die Grenzen einmal
überschritten haben, werden wir nie mehr ganz die gleichen kläglichen
Pedanten sein, die wir waren."
In einer kleinen Bar um die Ecke konnte man für ein, zwei Euro phantastische bocadillos mit Queso de Manchego oder Serrano-Schinken frühstücken – sie tun dort keine Butter aufs Brot, sondern rösten es mit Olivenöl auf der Herdplatte an - dazu einen café cortado, und dann ab zum Unterricht.
Die
Woche ging schnell rum, die Beschäftigung mit der Sprache war höchst
intensiv, »superintensiv«, wie sie diesen Kurs ja auch nennen. Es war in
vielerlei Hinsicht geistig anregend, aber erholsam, wie ich mir das
erhofft, und wie ich es nötig gehabt hätte, war es nicht. Dennoch
faszinierend, wie ein kurzer, intensiver Traum, über den man noch lange
nachdenkt. Außerdem wurde mir in Nerja klar, daß ich in den letzten zwei
Jahrzehnten - wie flüchtig auch immer - ziemlich viele Facetten dieses
eigenartigen Halbinselstaates hinter den Pyrenäen kennengelernt oder
wenigstens gesehen habe.
Einmal, kurz nach dem Mauerfall hätte mich die Guardia fast erwischt, wie ich mit Genossen der trotzkistischen Liga Comunista Revolucionaria
(LCR) in Sanlúcar de Barrameda ein gigantisches Hammer-und-Sichel-Mural
an eine Wand pinselte. Eine der Beteiligten, die später nach Berlin
emigrierte, berichtete, daß es noch Jahre dauerte, bis es entfernt
wurde. Sanlúcar wurde damals von einer Koalition sozialistischer und
kommunistischer Winzer beherrscht, und die anarchistische Gewerkschaft
der Landarbeiter, das Sindicato de los Obreros del Campo (SOC),
war ein Machtfaktor, gegen den sie nicht anregieren konnten. Die
Trotzkisten hatten in dieser Konstellation so eine Art Mittlerfunktion.
In Granada, wo es mich damals auch hinverschlug, hatte die konservative Stadtverwaltung allerorten »Carteles no« (Keine Plakate) an die Wände sprühen lassen. Ich schlug vor, »Otan tampoco« (Nato auch nicht) darunter zu schreiben, was von der örtlichen Parteigruppe mit Begeisterung aufgegriffen wurde. Ich hatte Glück, daß ich damals nicht im Knast landete. Zehn Jahre später hätte uns die ETA in Santa Pola beinahe in die Luft gesprengt, aber wieder hatte ich Glück.
Die Bilder, Gerüche und Geräusche sind irgendwo abgespeichert, und wann immer ich meinen Fuß auf spanischen Boden setze, werden sie lebendig, wie eine Saite, die durch Resonanz zu schwingen anfängt, und ich weiß bis heute nicht, ob das am Land oder an mir oder vielleicht am Reisen schlechthin liegt, oder einfach daran, daß es mich an soviel erinnert. Vielleicht könnte es ja auch Italien oder Polen sein, aber Spanien ist, für mich jedenfalls, ein ganz besonderer Ort.
Es
kommt noch etwas hinzu, und das ist das Alter. Nicht gerade in dem
Sinne, daß man jenseits der Vierzig keine neuen Erfahrungen mehr machen
könnte, aber Du hast natürlich viel mehr Erinnerungen als mit Anfang
zwanzig. Und jeden neuen Eindruck wirst Du mit ihnen vergleichen,
einordnen, ob Du willst oder nicht. Übrig bleiben nur Splitter, die Du
zu einem Mosaik sortieren oder Schnipsel, die Du zu einem Film
zusammenmontieren kannst oder auch nicht.
Den Rest kannst Du vergessen.
El olvido es el campo de la memoria, cual que la conciencia ya no puede lograr.
(Das Vergessen ist der Ort der Erinnerung, den das Bewußtsein nicht mehr erreichen kann.)