5. März 2014

Der Berg ruft

Skilanglauf als Zeitreise: Wintersport im Dreiländereck zwischen Polen, Böhmen und Sachsen 

Von Jörn Boewe, junge Welt Reisebeilage, 5. März 2014

Wir fahren zum Wintersport in die Berge: Ein kleines, erschwingliches Gebirge soll es sein, gut mit der Bahn zu erreichen, aber halbwegs schneesicher. Unser Low-Budget-Gegenprogramm zu Sotschi.



Auf die Schnelle zur Ferienzeit für ein paar Tage eine Bleibe zu bekommen, ist nicht so einfach. Warum es also nicht mal mit einer Jugendherberge probieren, trotz Hagebuttentee und Erdbeermarmelade aus Pappeimern? Allemal besser als Familienurlaub in postmodernen Themenparks oder turbokapitalistischen Erlebniswelten.

»Nu«, sagt die Frau am anderen Ende der Telefonleitung, was im Südostsächsisch-Sorbischen wohl soviel wie »ja« bedeutet. Also dann. Montag bis Freitag, ein Zimmer für zwei Erwachsene und ein Kind mit Halbpension für schlappe 250 Euro in der Jugendherberge »Dreiländer­eck« in Jonsdorf. Das Zittauer Gebirge ist das kleinste Mittelgebirge Deutschlands, und man kommt tatsächlich auch ohne Auto gut ins Skigebiet. Von Berlin mit dem Eurocity nach Dresden, weiter mit der Regionalbahn nach Zittau und die letzten Kilometer unter Dampf mit der Zittauer Schmalspurbahn durch verschneite Fichtenwälder und zwischen Sandsteinfelsen.


Auf den Kammlagen zwischen 400 und 650 Metern über Normalnull findet man im Spätwinter beste Langlaufbedingungen.

Wind und Wetter

Die Gegend liegt nicht mal 300 Kilometer von Berlin entfernt, aber man hat das Gefühl, in eine andere Klimazone zu geraten. »Unser Wetter kommt aus dem Böhmischen rüber«, sagt Herbergsvater Hanskarl Tischer. Der »Böhmische Wind«, ein kalter Fallwind, sorgt von der Oberlausitz bis nach Bayern zuverlässig für echtes Winterwetter, mitunter aber auch für Orkanschäden und heftige Schneeverwehungen. In diesem Februar liegen in den Tälern nur so um die 20 Zentimeter. »Es ist das zweite Mal in 26 Jahren, daß ich so ’nen milden Winter erlebe«, sagt der Mann mit dem Rübezahlbart, der nicht nur übers Wetter reden, sondern auch ein paar interessante Stories über die Geschichte seines Hauses erzählen kann.

1926 kaufte der Arbeitersportbund das Bauernhaus, eines der ältesten am Ort, und machte eine Jugendherberge daraus. Die Arbeiterjugend hatte aber nicht lange Freude daran – 1933 krallten es sich die Nazis, und statt Wintersport wurde fortan »Wehrertüchtigung« betrieben. Später richtete die SS hier eines ihrer bizarren »Lebensbornheime« ein.

Nach der Befreiung 1945 wurde mit bescheidenen Mitteln wieder aufgenommen, was der Arbeitersportbund begonnen hatte. Heute wird das Haus vom Deutschen Jugendherbergswerk betrieben, einem Verein, der im großen und ganzen mit einem ähnlich sympathischen Leitbild unterwegs ist: »Junge Menschen sollten, unabhängig von Herkunft und Geldbeutel, die Welt entdecken, Gemeinschaft erleben und dabei den Horizont erweitern.«

Skiausrüstung kann man sich im Ort ausleihen, aber hier werden sehr wohl Unterschiede gemacht: »Brettel, Stöcke, Schuhe komplett« gibt’s für fünf Euro am Tag, »mit Germina-Bindung, wie wir’s ausm Osten kennen«, sagt Verleiher Gerhard Donath. Westdeutsche bevorzugen ein anderes Fabrikat, für das fairerweise eine Mietgebühr von acht Euro zu entrichten ist.

Der Anschluß ans 40 Kilometer umfassende Skiwanderwegenetz des Zittauer Gebirges beginnt gleich hinterm Hof der Jugendherberge. Die Wege oder, wie der Skiläufer sagt, die Loipen, sind gespurt. Anders als in, sagen wir, Garmisch-Partenkirchen, wird das hier nicht mit übermotorisierten Schneemobilen erledigt, sondern, wie es Tischer auf den Punkt bringt: »Eener is immer der erste.«

jugendherberge-sachsen.de

zittauer-gebirge.com