Steinmeier, die Staatsräson und die "Bagdad-Affäre" des BND
Von Jörn Boewe, analyse & kritik - Nr. 532 / 17. Okt.2008
"Wir haben eine weiße Weste.
Auf Bagdad ist keine Bombe aufgrund von Meldungen gefallen, die von
deutscher Seite an die USA geflossen sind." So kommentierte der
SPD-Abgeordnete Michael Hartmann nach der Sitzung des
BND-Untersuchungsausschusses am 25. September die Befragung mehrerer
BND-Mitarbeiter zu den Aktivitäten des deutschen
Auslandsgeheimdienstes während des Irak-Kriegs 2003. Der BND habe
keinerlei Unterstützung für die "taktisch-operative
Kriegsführung" der USA geleistet. Bereits im Vorfeld der
Zeugenvernehmung hatte Hartmann behauptet, es gebe in den Akten
"keine Belege", dass die beiden BND-Agenten aus Bagdad für
die Kriegsführung "relevante Informationen" an die
Amerikaner weitergegeben hätten.
Dass der Abgeordnete aus
Mainz-Wackernheim in der Lage ist zu beurteilen, was für die USA
militärisch relevant oder irrelevant war, glaubt keiner, der einmal
dabei war, wenn Hartmann den Mund aufmacht. Hartmanns Job ist es,
seinem Parteifreund, dem jetzigen Außenminister und damaligen
Kanzleramtschef und Geheimdienstkoordinator Frank-Walter Steinmeier,
Flankenschutz zu geben, und er tut dies, da er sonst nichts zu bieten
hat, mit Fleiß und Ausdauer.
Die Oberflächlichkeit der
Massenmedien und eine gewisse kollektive Gleichgültigkeit kommen
Hartmann entgegen. Denn tatsächlich sind derartige "Belege"
seit Anfang 2006 öffentlich bekannt. In ihrem am 23. Februar
vorgelegten "Bericht gemäß Anforderungen des Parlamentarischen
Kontrollgremiums (PKGr) vom 25. Januar 2006 zu Vorgängen im
Zusammenhang mit dem Irakkrieg und der Bekämpfung des
Internationalen Terrorismus (Offene Fassung)" bestätigte die
Bundesregierung selbst, ein im Februar 2003 in Bagdad installiertes
"Sondereinsatzteam" des deutschen Auslandsgeheimdienstes
habe in den darauf folgenden Wochen diverse Meldungen über "den
Charakter der militärischen und polizeilichen Präsenz in der Stadt"
über die BND-Zentrale in Pullach an das US-Hauptquartier (Centcom)
in Qatar geliefert. Die Regierung erwähnt neben Berichten zu
"kriegsvölkerrechtlich geschützten Einrichtungen" und
Meldungen über die "Stimmung und Versorgung der Bevölkerung in
Bagdad" ausdrücklich "Beschreibungen mit geographischen
Koordinaten zu Aufenthaltsorten militärischer Kräfte
(Einzelfahrzeuge in der Nähe des Offiziersclubs der Luftwaffe,
Personal und Material irakischer Spezialtruppenteile)".
Koordinaten seien "auch in einer Meldung nach dem Luftangriff
auf den vermuteten Aufenthaltsort von Saddam Hussein am 07. April
2003 enthalten" gewesen.
Verblüffend war schon damals, wie
die Bundesregierung die eingeräumten Fakten bewertete. So hätten
"die mit Koordinaten versehenen Meldungen" Sachverhalte
beschrieben, "die für die strategische Luftkriegsführung
entweder nicht von Interesse, oder der US-Seite schon vorher im
Detail bekannt gewesen waren". Auch "für die taktischen
Luftstreitkräfte waren die an die US-Seite weitergegeben
Informationen ohne Relevanz", heißt es weiter. Zu einer
"Meldung mit vier Koordinatenangaben zu Kräften der SRG und RG"
(Sondergarden und Republikanische Garden; Anm. J.B.) erfährt man,
derartige "mobile militärische Teileinheiten, wie sie überall
im Stadtbild anzutreffen waren", hätten für die USA "erkennbar
nicht zum Zielspektrum" gehört. Einer ebenfalls übermittelten
"Koordinatenangabe des Ausweichquartiers des irakischen
Geheimdienstes" fehlte, glaubt man der Bundesregierung, "die
für einen Luftschlag erforderliche Genauigkeit".
Dass das Parlamentarische
Kontrollgremium den Bericht überhaupt anfordern konnte, war dem
NDR-Magazin Panorama zu verdanken, dass am 12. Januar 2006 über die
BND-Aktivitäten in Bagdad berichtet hatte. Die Regierung hatte die
Angelegenheit bis dahin auch vor der zuständigen Kontrollinstanz des
Bundestages verschwiegen. In der Sendung berichtete ein als
"ehemaliger Pentagon-Mitarbeiter" vorgestellter Informant
von der "deutschen Spionage-Hilfe" während des Krieges und
davor - "was natürlich hieß, uns bei der Zielführung und
Zielbestätigung zu helfen". Der Pentagon-Mann bewertete die
Rolle der deutschen Agenten in Bagdad ganz anders: "Sie haben
uns direkt unterstützt", sagte er. "Sie haben
Informationen für die Zielplanung geliefert."
Steinmeier, 2003 als
Kanzleramtschef direkt politisch verantwortlich für den
Auslandsgeheimdienst, behauptete zunächst , er wisse nichts von den
BND-Aktivitäten. Kurze Zeit später, als wohl klar wurde, dass sich
die Angelegenheit nicht mehr unter den Teppich kehren ließ, wurde
das Dementi zum "Missverständnis" erklärt. Steinmeier
trat die Flucht nach vorn an: Zwar hätten die BND-Leute mit ihren
GPS-Geräten Koordinaten aus Bagdad an ihre Zentrale in Pullach
geliefert, räumte er ein, auch seien diese an das US-Hauptquartier
in Qatar weitergegeben worden. Allerdings habe es sich lediglich um
"non targets" gehandelt, zivile Objekte wie Krankenhäuser,
Botschaften oder Synagogen, die vor Bombardierung und Beschuss
geschützt werden sollten.
Vier Wochen später wurde mit dem
offiziellen Regierungsbericht klar, dass zumindest die Behauptung,
der BND habe lediglich nichtmilitärische "non targets"
gemeldet, nicht mehr zu halten war. Weitere Einzelheiten
veröffentlichte das PKGr-Mitglied der Grünen-Fraktion, Hans
Christian Ströbele, in einer eigenen, "abweichenden Bewertung".
Insbesondere wie Ströbele die BND-Aktivitäten um den - auch im
Bericht der Bundesregierung erwähnten - Offiziersclub der irakischen
Luftwaffe einschätzt, ist aufschlussreich. "Am 28. März",
schreibt der Abgeordnete, "wurde von den BND-Mitarbeitern der
Volltreffer gemeldet, mit dem Hinweis, dass sich aber erneut
RG-Stellungen und Militär mit Offizieren dort befinden". Am 1.
April, also drei Tage nach dieser Meldung, wurde aus Bagdad gemeldet,
dass derselbe Offiziersclub erneut bombardiert und dem Erdboden
gleichgemacht wurde. "Es liegt nahe anzunehmen", folgert
Ströbele, "dass die erneute Bombardierung, die nach dem Treffer
auf dieselbe Stelle eigentlich schwer verständlich ist, auf die
Meldung neuer militärischer RG-Stellungen durch die BND-Mitarbeiter
erfolgt ist." (Hervorhebung J.B.)
Im September 2008 veröffentlichte
der Stern unter der Schlagzeile "Die Bagdad-Protokolle"
neue Details über den Einsatz der beiden - mittlerweile als
Oberstleutnant Rainer Mahner und Regierungsinspektor Volker Heinster
bekannten - BND-Agenten. So hätten die US-Amerikaner die Kooperation
der Deutschen bei der Aufklärung zur Vorbedingung für die von
Berlin gewünschte Stationierung eines Verbindungsoffiziers (VO) im
US-Hauptquartier in Qatar gemacht. Der Stern zitiert einen
Geheimvermerk des BND vom 28. November 2002: "Vorgang mit
CENTCOM besprochen. Aussage dort: Wenn BND intensiv aus Bagdad
berichtet, dann kann ein VO in Qatar integriert werden. Aber nur
dann!" Tatsächlich wurde dann ein Oberstleutnant Porster
(Deckname "Gardist") im Centcom stationiert - laut Stern am
25. Februar 2003, zehn Tage nachdem Heinster und Mahner in Bagdad
ihre Arbeit aufgenommen hatten.
Auch die Union weiß,
"was Staatsräson ist"
Ende November soll Steinmeier als
Zeuge vor den Ausschuss geladen werden. Dass er 2009 als
Kanzlerkandidat der SPD antreten wird, birgt ein gewisses Risiko.
Bislang sieht es allerdings nicht so aus, als wäre die Union
gewillt, den Außenminister zu beschädigen. SPD-Obmann Hartmann
drückte es kürzlich so aus: "Beide Parteien wissen, was
Staatsräson ist."
Interessant könnte auch die
geplante Vernehmung des damaligen Außenministers Joschka Fischer
werden. Wie Steinmeier hatte auch Fischer im Januar 2006, auf die
BND-Aktivitäten angesprochen, behauptet, die Angelegenheit sage ihm
nichts. Mit dem Grünen Ex-Minister sprang die neue Bundesregierung
nicht ganz so zimperlich um. "Der Bundesminister des Auswärtigen
wurde im laufenden Krieg mindestens zweimal persönlich durch
Spezialisten des BND detailliert zur Lage unterrichtet", führte
sie im Februarbericht an das PKGr aus. "Eine weitere persönliche
Unterrichtung des Ministers fand durch die BND-Mitarbeiter, die
während der Kriegshandlungen in Bagdad verblieben waren, am 16.
Dezember 2003 in Amman/Jordanien statt."