17. Dezember 2002

Die baskische Revolution in Santa Pola, Juni 2002

Santa Pola ist ein sympathisches Städtchen, mit kleinen Straßencafés, die z. B. “Bar El Mediterraneo” heißen und nicht auf chic getrimmt sind. Die Stadt leistet sich ein Aquarium, in dem Schildkröten, Haie und andere Meerestiere herumschwimmen und einen invaliden Wärter, der die ganze Zeit den Gesang der Buckelwale oder Café del Mar laufen lässt.

30. Oktober 2002

Mazedonisches Tagebuch

28. Dezember 2001 Der Busbahnhof in Stuttgart, wenn er auch Zentraler Omnibusbahnhof heißt, ist in Wahrheit ein einziger Jugo-Busbahnhof. Wir erwischen einen Bus voller Albaner, alle aus demselben Dorf (Struga am Ohrid-See). Offiziell ist es ein Bus der Deutschen Touring GmbH, einer Tochter der Deutschen Bahn AG, aber in Wahrheit gehört er dem Busfahrer, der ebenfalls aus Struga stammt und bei Touring als Subunternehmer unter Vertrag steht. Laut Fahrplan fährt der Bus von Stuttgart nach Skopje, aber wir zwei sind die einzigen Passagiere, die nach Skopje wollen, alle anderen fahren nach Struga. Nach 24 Stunden ohne Pause setzt uns der Fahrer an einer Ausfallstraße von Skopje ab und fährt weiter Richtung Süden.

4. August 2002

Depression im Business

Habe meine Matrosenhose eingepackt & mich
an die Ostsee abgesetzt,
salvar vidas.
Möwen, Brackwasser, Muschelkalk.
Big Sky!

3. März 2002

Ein ganz privater Grenzübergang

Pioniergeist an der EU-Ostgrenze

Von Jörn Boewe, Berliner Morgenpost, 3. März 2002


Morgens halb acht am Grenzübergang Mescherin, Uckermark: Ein paar Leute stehen vor dem Fahrkartenschalter der Oderhaff Reederei Peters. In einer Stunde sticht der schwimmende Duty-Free-Shop in See. "Billiger als in Polen" wirbt Peters für seine Butterfahrten. Und wirklich: Die meisten Leute, die hier zusteigen, kommen aus Gryfino und Umgebung.

Skurril ist die Grenzökonomie. Nichts wird produziert, und dennoch verdienen die einen und sparen die anderen Geld. Obwohl das Prozedere umständlich ist: Polnische Dorfbewohner tragen ihre Euros über die Fußgängerbrücke in den Westen, fahren mit dem Butterschiff zurück in die polnischen Gewässer, kaufen Schnaps, Waschmittel, Tütensuppen, landen wieder am deutschen Ufer, schleppen ihre Ausbeute über die Brücke abermals nach Polen und machen mit diesem Hin und Her deutsche Reeder und Handelskonzerne glücklich. Es gibt aber auch anderen Grenzverkehr.

Eine Barkasse bahnt sich den Weg zwischen den Supermarktschiffen auf der Oder bei Mescherin. Der Diesel tuckert und schnaubt Rauchwolken über die Oderwiesen. Auch die Barkasse ist ein Teil dieser Grenzwirtschaft, doch wird auf ihr keine Billigware verschifft. Ein Lieferwagen mit Berliner Kennzeichen rollt die Dorfstraße entlang, kommt am Pier zum Halten. Der Fahrer steigt aus, zündet sich eine Zigarette an. Ein Kruzifix und ein Bild vom Papst hängen am Rückspiegel. Die Barkasse dampft zur Zollstation. Die Zöllner gehen an Bord, kontrollieren Papiere und Ladung. Nein, hier wird nichts geschmuggelt, weder Zigaretten, Koks noch leichte Mädchen.

In den Containern liegen frisch gewaschene Bademäntel, Handtücher, Tischdecken, Bettlaken. Auf manche ist ein goldenes "A" wie Adlon gestickt, andere tragen die Initialen vom Radisson, Interconti oder Grand Hyatt. Was da von Ost nach West über die Oder schippert, ist die Wäsche der renommiertesten Berliner Nobelhotels.

Der Skipper wirft ein Tau herüber. Die Barkasse legt an der Kaimauer an. Der Fahrer drückt seine Zigarette aus. Zeit ist Geld, wenn Fünf-Sterne-Wäsche verladen wird. Gestern wurde sie aus Berlin geholt, über Nacht gewaschen und gebügelt. Heute vormittag, 16 Stunden später, wird sie zurückgebracht.

"Länger als 24 Stunden darfs nicht dauern", sagt der Mann, der für die besten Häuser in Berlin wäscht. Er heißt Hubert Emming und ist eigentlich Kraftwerksingenieur. Als er Ende der 80er das Gryfinoer Kohlekraftwerk "Dolna Odra" modernisierte, kam ihm die Idee, Wärme und Dampf für eine Wäscherei zu nutzen. Emming fing zu bauen an, bevor an Mauerfall und deutsche Einheit zu denken war. Im Dezember 1992 war es soweit: Emming und sein dyrektor Zbigniew Kasperski fingen mit 20 Leuten an, wuschen täglich fünf Tonnen Wäsche. Zwei Jahre später waren es 14 Tonnen, die Maschinen liefen auf Hochtouren.

Emming und Kasperski dachten an Erweiterung, doch es gab ein Problem. Wenn die Laster an der Grenze im Stau standen - und sie standen oft im Stau - konnte Emming seine Termine nicht mehr halten. Hubert Emming ist kein Typ, der abwartet. 1995 kaufte er ein kleines Schubschiff mit Schwimmplattform, betonierte Anlegestellen an beiden Ufern des Flusses und bekam tatsächlich die Genehmigung der deutschen und polnischen Behörden für seine private Fährverbindung an der EU-Außengrenze. "Von da an konnte es uns egal sein, wenn es hieß: Grenzübergang Pomellen: 24 Stunden Wartezeit für Lkw." Mittlerweile wäscht Emming fast 30 Tonnen Wäsche täglich, "in einer der modernsten Anlagen Europas", hat 250 Angestellte in Gryfino und 30 weitere in Berlin, dazu vier Auszubildende.

Das Grenzregime war nicht die einzige Widrigkeit, mit der der Mann zu kämpfen hatte. Kritiker, die sich um die deutsche Wirtschaft sorgten, machten Stimmung. "Mindestens hundert Arbeitsplätze in Berlin" seien verloren gegangen, weil Emming seine Wäscherei östlich der Oder errichtet habe, sagte Hans-Albert Heim von der Textilinnung, und die Konkurrenz stimmte ein. "Dann dürfte hier keiner mehr ein Hemd kaufen, weil es im Ausland genäht wurde", wetterte Emming und rechnete dagegen: Zwar verdienen seine Wäscherinnen nur halb soviel, wie er in Berlin zahlen müsste - auch wenn die 400 Euro für polnische Verhältnisse ein anständiges Gehalt sind. Doch dagegen stehen Kosten für Fuhrpark, Logistik und eine Viertelmillion Euro Zoll jährlich. "Es gibt Firmen in Berlin, die waschen billiger als wir", sagt Emming. Auch Service und Qualität müssten stimmen.

Ohnehin würden die polnischen Löhne anziehen, wenn das Land erst in der Europäischen Union sei. Dennoch wolle er den Beitritt so schnell wie möglich. "Schließlich hindert uns die Grenze, ganz normal miteinander zu leben und zu arbeiten." Mit der schmutzigen Wäsche aus Berlin schippert Emmings Barkasse von Mescherin zurück nach Gryfino. Ein paar Jahre wird er sie noch brauchen.

14. Februar 2002

Herr Shaqiri würde gern nach Hause gehen

100.000 Roma wurden seit dem Ende des Jugoslawien-Krieges aus dem Kosovo vertrieben. Die NATO leistete Schützenhilfe zu dieser "ethnischen Säuberung"

 Von Boris Kanzleiter und Jörn Boewe

"Früher war ich Musli Shaqiri aus Urosevac", sagt der Mann und zeigt auf die Berge im Nordwesten. "Heute bin ich Musli Shaqiri Refudji.


Ein eisiger Wind weht aus Richtung Urosevac. Herr Shaqiri hat eine Strickjacke, die er über die Ohren ziehen kann, einen Schlafplatz auf einer Pritsche in einer Baracke und einen Kanonenofen. Feuerholz bekommt Herr Shaqiri von den Vereinten Nationen. Leider ist den Vereinten Nationen das Feuerholz Anfang Dezember ausgegangen.


Es gibt manchmal kein Wasser und oft keinen Strom, aber über mangelnde Gesellschaft kann sich Herr Shaqiri nicht beklagen. 1300 wohnen hier, denen geht es wie ihm, am Rand von Skopje, zwischen Müllhalden und Stacheldraht, im UNHCR Shutka Refugee Camp. Die "Refudjis" sind eine große Familie, scheint es. Eine Familie allerdings, die sich nicht freiwillig zusammengefunden hat. Denn alle Bewohner des Camps teilen ein gemeinsames Schicksal. Sie sind alle Roma, und sie wurden alle aus dem Kosovo vertrieben. Nicht zu Zeiten als Slobodan Milosevics Truppen dort ihr Unwesen trieben, sondern nachdem die Streitmacht des Westens, die 38.000 Soldaten der KFOR, in die Provinz eingerückt sind.


"Nach der Rückkehr ethnischer Albaner in den Kosovo im Juni 1999 und dem Einmarsch von NATO (KFOR) Truppen, führten ethnische Albaner eine ununterbrochene und brutale Kampagne der ethnischen Säuberung gegen die Roma im Kosovo und andere Personen, die als 'Zigeuner' bezeichnet wurden, durch", erklärt ein Report des European Roma Rights Center (ERRC) aus Budapest. "Albaner ermordeten und entführten Roma, vergewaltigten sie vor ihren Familien, brachen in Häuser ein und bedrohten sie mit dem Tod, falls sie am nächsten Morgen noch da sein würden. Sie raubten in großem Ausmaß Eigentum aus Häusern von Roma, hielten Roma auf den Straßen an und stahlen ihre Autos. Ganze Roma-Siedlungen wurden niedergebrannt", heißt es in dem Bericht. Die "größte einzelne Katastrophe, welche Roma nach dem Zweiten Weltkrieg getroffen hat", nennt das European Roma Rights Center die Vertreibung der Roma aus dem Kosovo.


Bei Rom e.V. in Köln schätzt man die Zahl der Roma Flüchtlinge aus dem Kosovo auf über 100.000. Auch etwa 200.000 Serben mussten vor dem Terror fliehen. Sie leben heute zum größten Teil bei Familienangehörigen oder in Flüchtlingsunterkünften in Serbien. Die Roma dagegen sind nirgends willkommen. "Wir bekommen alle vier Monate eine Duldung von der mazedonischen Regierung. Aber wir wissen nicht, wie lange das noch so weitergeht", sagt Musli Shaqiri.


Den Kosovo-Roma, die es vom Balkan in die Länder der Europäischen Union geschafft haben - viele von ihnen sind beim Versuch in der Adria ertrunken - geht es nicht viel besser. In Deutschland haben nach den Statistiken des Bundesamtes für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge (BAFL) in Nürnberg seit Juli 1999 bis zum Dezember vergangenen Jahres 13.280 Kosovo-Roma Asylanträge gestellt. So gut wie keiner wurde anerkannt. Ihnen kann alle sechs Monate eine Duldung erteilt werden.Auch wenn die westliche Öffentlichkeit blind zu sein scheint, für das was unter den Augen der KFOR und der UN-Übergangsverwaltung im Kosovo passiert, werden Roma im Allgemeinen nicht in den Kosovo abgeschoben. Zu offensichtlich ist die Gefährdung noch immer, wie auch ein Bericht der OSZE kürzlich deutlich feststellte. Die Ausnahme bestätigt die Regel. Immer mal wieder wurden in den letzten Jahren ein paar Roma in ein Flugzeug nach Prishtina verfrachtet - ob sie dort nun um ihr Leben fürchten mussten oder nicht. Dann schrieb Ruud Lubbers, UN-Hochkommissars für Flüchtlinge (UNHCR), besorgte Briefe an deutsche Innenminister. Die Bundesregierung, bemüht um ihre internationale Reputation, verspricht künftige Zurückhaltung bei der Abschiebung von Minderheiten in den Kosovo. Doch mindestens bis zum Herbst 2000 blieben die sporadischen Deportationen auf der Tagesordnung.


Die Innenminister der Länder haben eine Idee. Bei ihrer Konferenz in Meisdorf am 8. November baten sie den Bundesminister des Inneren, Otto Schily (SPD), "in Verhandlungen mit der Bundesrepublik Jugoslawien darauf hinzuwirken, dass grundsätzlich alle ausreisepflichtigen jugoslawischen Staatsbürger, z.B. auch nichtalbanische Minderheiten aus dem Kosovo, in das übrige Gebiet der Bundesrepublik Jugoslawien zurückgeführt werden können." Dass die Roma Opfer einer westlichen Politik sind, die den Terror der UCK nicht an die Kette legt, scheint die Minister nicht zu stören.


Musli Shaqiri aus Urosevac, jetzt "Refudji" in Skopje, denkt heute nur an morgen. Zukunft? Ein Fremdwort. Urosevac ist nicht weit weg, ganze 50 Kilometer. Aber für Herrn Shaqiri ist es weiter weg als Australien. Denn für Herrn Shaqiri und die anderen "Refudjis" gibt es keinen Platz mehr in Urosevac oder irgendwo sonst im Kosovo. Und damit sie es nicht vergessen, ziehen manchmal nachts Demonstranten vor das Tor des Shutka Refugee Camps. Sie rufen "Es lebe die UCK", "Kosova Republika" und andere Dinge. Sie schießen die Magazine ihrer AK-47-Sturmgewehre in den Himmel über Shutka und gehen nach Hause. Dann liegt Herr Shaqiri auf seiner Pritsche hinterm Stacheldraht und denkt, dass er auch gern nach Hause gehen würde.