31. Januar 2011

Scheindebatte mit Milchschaum

Linksparteichefin Gesine Lötzsch und DIW-Ökonom Karl Brenke diskutieren über »Fachkräftemangel«

Von Jörn Boewe, junge Welt, 1. Feb. 2011

Wenn ein Unternehmen, das andere »Unternehmen bei der sozialverträglichen und verantwortungsvollen Durchführung von Stellenabbau« unterstützt, eine »Arbeitsmarktdebatte« mit Linksparteichefin Gesine Lötzsch und dem Gesamtmetall-Chefökonom Michael Stahl veranstalten will, könnte das vielleicht ganz interessant werden.Wird es aber nicht. Man ahnt es, wenn man den Titel liest: »Fachkräftemangel – Drama oder Chance?« Partei­vorsitzende Lötzsch äußert sich, wie wir wissen, auch gern mal zu eher abseitigen Themen.

Immerhin, das Ambiente paßt. Montag früh, im Café Einstein, Unter den Linden 42. Hier, wo Hauptstadtjournalisten mit Ministerialbürokraten und Bundestagshinterbänklern Gerüchte tauschen, ist man schon froh, wenn sich das intellektuelle Niveau der Konversation irgendwie vom Geklimper der Latte-Macchiato-Tassen abhebt.

Herr Stahl von Gesamtmetall ist leider verhindert. Für ihn springt Karl Brenke vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) ein, das formal unabhängig, finanziell halbstaatlich und politisch dann doch eher unternehmernah ist. Insofern paßt auch das.

Moderiert wird das Ganze vom ehemaligen Max-Chefredakteur Hajo Schumacher, der sonst u.a. mit dem ehemaligen Bild-Chefredakteur Hans-Hermann Tiedje bei N24 die Talkshow »Links-Rechts« macht.

»Der Fachkräftemangel«, eröffnet Schumacher die Debatte, »der wabert ja seit Jahren durch die Gegend.« Das war vielleicht das falsche Stichwort, denn jetzt wabert es die nächste Stunde völlig ungehemmt weiter. Gesine Lötzsch weist darauf hin, daß es in den vergangenen zwei Jahrzehnten vielen süddeutschen Unternehmen gelungen sei, ihren Fachkräftemangel durch Zuwanderung aus dem Beitrittsgebiet zu »überbrücken«. Im Übrigen will sie den Begriff Fachkraft nicht so eng definiert haben. »Man muß die Kompetenz für die jeweilige Aufgabe haben«, darum geht es. Viele Talente würden in der Gesellschaft auch verschwendet, weiß Lötzsch aus ihrer »täglichen Arbeit als Abgeordnete« zu berichten, z.B. die von Spätaussiedlern aus der ehemaligen Sowjetunion (»im Volksmund Rußlanddeutsche genannt«). Obwohl viele von ihnen »hohe Qualifikationen« hätten, »können sie in ihren Berufen nicht arbeiten«, weiß die Linke-Chefin. Und berichtet vom haarsträubenden Fall eines tschetschenischen Chirurgen, der in Senftenberg praktiziert (»er darf nur in Senftenberg arbeiten«), während seine Familie in Berlin wohnt und ihn nicht besuchen darf. »In Senftenberg?«, fragt Schumacher. »Was hat der Mann verbrochen?« Aber das will Gesine Lötzsch jetzt nicht vertiefen, es war nur ein Beispiel.

Jetzt Brenke. Im Gegensatz zur Politikerin formuliert der Wissenschaftler seine Thesen eher harmlos. Daß sie das gar nicht sind, merken die Leute erst, nachdem er sie vier, fünf mal wiederholt hat. »Es gibt in Deutschland fast keinen Beruf, in dem ich keine Arbeitskräfte finde«, sagt er. Keine Reaktion. »Wir beschäftigen heute immer noch weniger Maschinenbauingenieure als vor der Krise.« Immer noch nichts. »Wir haben überhaupt keinen Fachkräftemangel.« Ah, ja, aber wir reden doch drüber – also wird da doch wohl ein Problem sein, oder nicht? Die »Klagen über den angeblichen Fachkräftemangel« seien »politisch motiviert«, stellt Brenke klar: Nicht von ungefähr seien sie »mit der Forderung nach verstärkter Zuwanderung« verbunden und also eine Debatte, fingiert mit dem Ziel, die Löhne »in einem bestimmten Segment« zu senken, sagt der Mann vom DIW.

Was sagt die Linke? Die Linkspartei hat ein starkes Bedürfnis, ihre Seriosität zu beweisen. Das macht man in der Berliner Republik, z.B., indem man konstruktiv mit dem politischen Gegenüber über ein Problem diskutiert, das es gar nicht gibt. Jugendliche bräuchten mehr Berufspraktika während der Schulzeit, sagt Lötzsch, was gewiß nicht falsch ist. Qualifiziertere Berater in den Arbeitsagenturen wären auch nicht schlecht. Es kommt kein Dampf in die Debatte. Dampf kommt hier nur aus der Espressomaschine, es wabert noch ein Weilchen mit der Konsistenz von lauwarmer Luft, dann ist Schluß. Gesine Lötzsch muß zum nächsten Termin.