4. September 2012

ITF überprüft Ostseehäfen

Internationale Transportarbeiterföderation kontrolliert Einhaltung von Tarifverträgen auf Schiffen an der deutschen Küste

Von Jörn Boewe, Wismar, junge Welt, 5. Sept. 2012

Früh um neun im Gewerkschaftshaus in der Rostocker August-Bebel-Straße. Die dritte Etage gehört ver.di, sagt ein freundlicher, älterer Besucher, aber in Rostock sind alle Gewerkschaften klamm, deshalb hätten sie einen Teil vermietet, »an diese Seefahrergewerkschaft, glaube ich«. »Diese Seefahrergewerkschaft« besteht am Dienstag morgen aus dem Nigrer Hamani Amadou und sechs Hafenarbeitern, zweien aus Rostock, vieren aus Lübeck.


Amadou recherchiert im Internet, welche Schiffe heute in die Ostseehäfen der Region einlaufen: Rostock, Wismar, Lübeck, Kiel. Kein Schiff fährt heute mehr unentdeckt ohne Tarifvertrag über die Weltmeere. Dank GPS und Internet kann seine Position genau bestimmt werden. Amadou kann auf verschiedene Datanbanken zugreifen – die der Internationalen Transportarbeiterföderation (ITF) in London wie auch das ebenfalls an der Themse ansässige Internationale Schiffsregister von Lloyd. Eigentümer, tariflicher Status und weitere Einzelheiten können heute schneller zusammengestellt werden, als eine Möwe auf Deck scheißt.

Aktionswoche

»Hafenarbeiter und Seeleute gemeinsam«, sagt Amadou, »darum geht es hier. Das ist das Wichtigste. Ich kontrolliere jeden Tag Schiffe. Aber die Hafenarbeiter einzubeziehen, das ist das Besondere an dieser Aktion.« Amadou ist der einzige Hauptamtliche im Trupp. Seit einem Jahr arbeitet er als ITF-Inspektor in Rostock. Die Docker sitzen bei Kaffee und Brötchen, sie machen das ehrenamtlich. Sie haben Urlaub genommen, um die Baltic Action Week, die ITF-Ostseeaktionswoche, zu unterstützen. »Ich arbeite bald 25 Jahre am Hafen«, sagt Stefan, »aber bei der Action Week bin ich erst zum zweiten Mal dabei. Nun, man möchte wenigstens ein bißchen dafür tun, den eigenen Job etwas sicherer zu machen.«

Immer mehr Unternehmen setzen auf die selbst ent- und beladende Besatzung. Gerade auf kurzen Strecken lohnt sich das für die Reeder. Die Jobs der Hafenarbeiter werden dadurch unsicher. Die Tarifverträge der ITF verbieten diese Praxis jedoch. Nicht zuletzt deshalb haben die Beschäftigten so starkes Interesse daran, daß möglichst viele Schiffe unter Tarifvertrag kommen.

Wie schon in den Vorjahren führen die ITF und ihre deutsche Partnerorganisation ver.di vom 3. bis zum 7. September ihre Ostseeaktionswoche durch. Ziel der ist es, Arbeits- und Lebensbedingungen auf Schiffen zu überprüfen und Sozialdumping sowie unwürdige Verhältnisse auf See aufzudecken. Während der Woche werden in Hamburg, Bremen, Bremerhaven, Lübeck, Wismar und Rostock ITF-Trupps eingesetzt, um die Schiffe zu kontrollieren und zu prüfen, ob ITF-Verträge eingehalten werden.

3100 unter Billigflagge

»Angesichts des immer schärfer werdenden Wettbewerbs auf dem Schiffsmarkt versuchen Billigflaggen, mit möglichst geringen Gebühren und einem minimalen Ordnungsrahmen für sich zu werben«, erklärte ver.di-Bundesvorstandsmitglied Christine Behle am Montag im Aufruf ihrer Gewerkschaft. »Viele Reeder beschäftigen auf Billigflaggenschiffen die billigsten Arbeitskräfte, die sie finden können. Sie zahlen minimale Heuern und reduzieren die Kosten zusätzlich dadurch, daß sie die Lebens- und Arbeitsbedingungen für die Besatzung immer weiter absenken. Neben niedrigen Löhnen sind auch ungenügende Verpflegung und mangelnde Versorgung von Kranken ein großes Problem. Solche Mißstände müssen aufgedeckt und gestoppt werden.«

Allein 3100 deutsche, das heißt: von deutschen Eigentümern kommerziell betriebene, Schiffe fahren nach Angaben von ver.di unter einer Billigflagge. Ungefähr ein Drittel der auf ihnen angeheuerten Seeleute unterliegt keinem Tarifvertrag.

Die Kontrollen der ITF bildeten eine »wichtige Grundlage, um diese Problematiken anzugehen«, heißt es bei ver.di. 2011 wurde im Rahmen der Aktionswoche ein Schiff boykottiert, also nicht abgefertigt. Insgesamt konnte die Gewerkschaft im vergangenen Jahr allein in Deutschland etwa eine Million US-Dollar an ausstehenden Löhnen für die Seeleute erfolgreich einfordern und »hereinholen«. Weltweit waren es 26 Millionen Dollar.