8. November 2014

In einem anderen Land

Die aktuelle Staats- und Parteiführung feiert die "friedliche Revolution, die ihren Höhepunkt am 9. November 1989 gefunden hat" (aus einer Programmankündigung der ARD). Nach einem Vierteljahrhundert ist vom subversiven Geist der 89er DDR-Bürgerbewegung nichts mehr übriggeblieben.

Rostock, Oktober 1989. Ein späterer Präsident war damals Pfarrer in Rostock. Dass er auch Bürgerrechtler war, erfuhren wir erst viel später, in einem anderen Land

Es gibt ein paar versprengte, andere Stimmen, Linke, die meinen, am 9. November hätte in der DDR vielmehr eine Konterevolution stattgefunden. Aber das Gegenteil von Blödsinn ist leider allzu oft eben auch nur Blödsinn. Abgesehen davon, dass eine "Revolutionsregierung", die es nötig hat, die eigene Bevölkerung am Verlassen des Landes zu hindern, wohl von niemandem mehr "gekontert" werden muss.

Am 9. November 1989 fand in der DDR weder eine Revolution noch eine Konterrevolution statt - es wurde schlicht eine bis dahin ziemlich dichte Grenze geöffnet. Die Revolution hatte ihren Höhepunkt am 4. November gehabt und schon überschritten, die Konterrevolution (die auf jede halbe Revolution folgt) war politisch mit dem Wahlsieg von Helmut Kohls Marionettentruppe "Allianz für Deutschland" am 12. April 1990 besiegelt.

Die Privatisierung des ehemaligen Volkseigentums (das wir kaum in Besitz genommen hatten) dauerte noch ungefähr viereinhalb Jahre. 1994 schrieb der Sachverständigenrat der Bundesregierung zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung (in der bundesdeutschen Debatte unter der kindischen Bezeichnung "Die fünf Wirtschaftsweisen" bekannt): "Der Treuhandanstalt ist es (...) zu verdanken, dass das Bild der Wirtschaft in den neuen Bundesländern heute nicht von notleidenden und nur durch ständige Finanzspritzen am Leben gehaltenen Staatsbetrieben geprägt wird, sondern von selbständigen Unternehmen, die beharrlich und zunehmend auch mit Erfolg auf die Festigung ihrer Marktposition hinarbeiten." 1,2 Millionen Ostdeutsche waren arbeitslos. Obwohl immer mehr die gewonnene Freizügigkeit nutzten, um in den Westen zu gehen, wuchs die Zahl bis 2005 auf über 1,6 Millionen (20,6 %). Dann kamen "Agenda 2010", Hartz-IV und die weitgehende Deregulierung der Leiharbeit - bis wir endlich "einen der besten Niedriglohnsektoren" (...) hatten, "den es in Europa gibt" (Gerhard Schröder).

Wir starteten mit "Wir sind das Volk" und landeten bei "Hauptsache Arbeit". Jetzt haben wir einen Mindestlohn, der nicht mal Altersarmut vermeiden kann, aber dennoch ein "Meilenstein der deutschen Sozialgeschichte" (DGB-Bundesvorstand) sein soll.

Wir hatten 1989 gute Gründe, unsere Regierung zu stürzen: u. a. dass sie das Gemeinwesen ruinierte, in unserem Privatleben herumschnüffelte und die eigene Verfassung mit Füßen trat. Aber das war vor langer Zeit, in einem anderen Land.