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14. August 2025

Belgrad, 25 Jahre danach

Die Ruine des Generalstabsgebäudes in der Nemanjina-Straße steht noch. Beton zersplittert, Treppenschächte offen wie Wunden. Gerüchte, man wolle das Ensemble schleifen, flammen alle paar Jahre auf. Ein Investor hier, eine Renditefantasie da. Ende 2024 wurde es konkreter. Serbiens Präsident Aleksandar Vučić will den Weg freimachen für den Abriss. Donald Trumps Schwiegersohn Jared Kushner plant auf dem Areal einen Luxuskomplex: Apartments, Hotel, Büros.

Der Widerstand kam unerwartet. Mitarbeiter des Republikanischen Instituts für Denkmalschutz weigerten sich, den Generalstab aus dem Zentralregister für unbewegliche Kulturgüter zu streichen. Noch steht die Ruine. Als Mahnung, als Störfall im Geschäftsmodell.

Am Kalemegdan weht Abendlicht über die Save. Der Sieger blickt nach Westen. Wer ihm folgt, sieht die Schatten. Die Skyline des neuen Belgrad funkelt, doch unter den Bäumen sitzen alte Männer, schweigend, mit Blick auf ein Land, das es nicht mehr gibt. Die Zukunft wird auf Pfählen gebaut. Die Vergangenheit wohnt daneben, mit durchhängender Wäscheleine. Zwei Belgrads in einem Bild: das glänzende, das bröckelnde. Eines für Investoren. Das andere für alle, die geblieben sind.

Frühjahr 1999: Die NATO beginnt ihren Luftkrieg gegen Jugoslawien. Ohne UN-Mandat, ohne Völkerrechtsgrundlage. In Deutschland spricht man von „humanitärer Intervention“. Minister Scharping präsentiert im Bundestag den sogenannten „Hufeisenplan“ – ein angeblich serbischer Masterplan zur ethnischen Säuberung im Kosovo. Später stellt sich heraus: Der Plan war eine Erfindung von Politikern und Geheimdiensten. Eine gezielte Manipulation zur öffentlichen Rechtfertigung des ersten Kriegseinsatzes der Bundeswehr seit 1945.

SMRT NATO PAKTU, steht an einer Wand  – Tod dem NATO-Pakt. Daneben parkende Fiats, gesenkte Köpfe, leise Gespräche. Wer den Krieg bringt, bekommt Worte zurück. Die Schrift bleibt, wenn Bomben längst verstummt sind.

7. Mai 1999: In den Abendstunden treffen fünf Präzisionsbomben die chinesische Botschaft in Belgrad. Drei Journalisten sterben, 20 Menschen werden verletzt. Washington spricht von einem Navigationsfehler, von veralteten Karten.

Später recherchieren The Observer und Politiken: Der Angriff könnte gezielt gewesen sein, die CIA habe absichtlich falsche Koordinaten geliefert. Offizielle Stellen dementieren. Die Wahrheit bleibt im Nebel. Der Internationale Strafgerichtshof für das ehemalige Jugoslawien (ICTY) stellt die Ermittlungen ein – kein strafbares Verhalten, heißt es.

Nach 78 Tagen war der Krieg gewonnen. Für die UÇK. Eben noch eine Terrororganisation, war die albanisch-nationalistische Guerilla zum Partner des Westens avanziert. Der Preis für den Sieg: 200.000 Menschen, zumeist Serben und Roma, verlassen den Kosovo. Manche sprechen von „ethnischer Korrektur“, andere von einem kalten Tausch. Der Frieden ist asymmetrisch.


 
 
Ein schmaler Gang: Graffiti, Neonlicht, schiefe Schilder. Ein Restposten Jugoslawiens. Die Stadt atmet durch Hinterhöfe. Wo keine Kamera hinschaut, bleibt die Geschichte stehen. Ein Mural mit Fußballerblick. Miloš Milutinović von Partizan Belgrad schaut durch dich hindurch. Das Gesicht der Vergangenheit bleibt jung. Alles andere altert.

 
 
23. März 2025, 16 Uhr, Generalštab. Protest. In kyrillischer Handschrift daneben: ПОБУНА – Aufstand. Heute ist der Generalštab nicht einfach nur eine Ruine. Er ist ein Denkmal für das, was man nicht sagen darf, aber nicht vergessen kann. Er ist ein Zeichen derer, die für die Kushners und Vučićs dieser Welt überflüssig sind, geschäftsschädigend, eine Belästigung.

Der Beton weiß mehr als die offiziellen Berichte. Aber er schweigt.  Auf einer Mauer steht: Сви у штрајк!  –  Alle  in den Streik.  Niemand steht davor. Die Losung ist geblieben. Nur der Streik lässt auf sich warten.





Belgrade, 25 years later

The ruins of the General Staff building still stand on Nemanjina Street. Concrete is shattered, stairwells lie open like wounds. Every few years, rumors flare up about tearing the complex down. An investor here, a return-on-investment fantasy there. By the end of 2024, things got more concrete. Serbian President Aleksandar Vučić wants to clear the way for demolition. Donald Trump’s son-in-law Jared Kushner plans to build a luxury complex on the site: apartments, hotel, offices.

The resistance came unexpected. Staff at the Republican Institute for the Protection of Cultural Monuments refused to strike the building from the central register of immova le heritage. The ruins still stand. As a warning. A disruption in the business model.

Evening light drifts over the Sava at Kalemegdan. The victor looks west. Those who follow his gaze see the shadows. The skyline of New Belgrade sparkles. But beneath the trees, old men sit in silence, looking at a country that no longer exists. The future is built on stilts. The past lives next door, beneath a sagging clothesline. Two Belgrades in one image: the gleaming, the crumbling. One for the investors. The other for those who stayed.

Spring 1999. NATO begins its air war against Yugoslavia. Without UN mandate. Without legal foundation under international law. In Germany, they called it a “humanitarian intervention.” Minister Scharping stood before parliament and presented the so-called Horseshoe Plan – supposedly a Serbian masterplan for ethnic cleansing in Kosovo. Later it became clear: the plan was a fabrication by politicians and intelligence agencies. A deliberate manipulation to justify the first German military combat operation since 1945.

SMRT NATO PAKTU, is written on the wall – Death to the NATO Pact. Next to it: parked Fiats, lowered heads, quiet conversation. Those who bring war get words in return. The writing remains, long after the bombs have fallen silent.

May 7, 1999. In the evening, five precision bombs hit the Chinese embassy in Belgrade. Three journalists are killed, 20 people injured. Washington speaks of a navigation error, of outdated maps.

Later, The Observer and Politiken investigate: The attack may have been deliberate. The CIA is said to have provided false coordinates. Official agencies deny it. The truth remains in the fog. The International Criminal Tribunal for the former Yugoslavia drops the investigation – no criminal offense, they say.

After 78 days, the war was won. For the UÇK. Just recently labeled a terrorist organization, the Albanian nationalist guerrilla had become a partner of the West. The price of victory: 200,000 people – mostly Serbs and Roma – leave Kosovo. Some call it “ethnic correction,” others a cold exchange.
Peace is asymmetrical.



 
 
A narrow passage: graffiti, neon light, crooked signs. A leftover of Yugoslavia. The city breathes through backyards. Where no camera looks, history stands still. A mural with the gaze of a footballer. Miloš Milutinović of Partizan Belgrade looks right through you. The face of the past stays young.
Everything else ages.


 
 
March 23, 2025. 4:00 p.m., Generalštab. Protest. In Cyrillic script beside it: ПОБУНА – Uprising.
Today, the Generalštab is more than just a ruin. It is a monument to what cannot be said but must not be forgotten. A sign of those who, to the Kushners and Vučićs of this world, are superfluous, bad for business, a nuisance.

Concrete knows more than the official reports. But it remains silent. A wall reads: Сви у штрајк! – All on strike. No one stands in front of it. The slogan remains. The strike has yet to come.





26. August 2019

Endlessly traveling to Honolulu

"Many a trip continues long after movement in time and space have ceased. I remember a man in Salinas who in his middle years traveled to Honolulu and back, and that journey continued for the rest of his life. We could watch him in his rocking chair on his front porch, his eyes squinted, half-closed, endlessly traveling to Honolulu."

John Steinbeck, Travels with Charley: In Search of America



10. Januar 2015

Wer bedroht die Demokratie?

Die großen deutschen Zeitungsverleger haben einen Aufruf veröffentlicht: Sie wollen sich nicht länger als »Lügenpresse« beschimpfen lassen. Offenbar halten sie es für eine gute Idee, im Windschatten der allgemeinen Verurteilung des Pariser Attentats auf das Satiremagazin Charlie Hebdo ein bisschen Trittbrett zu fahren.

6. Dezember 2014

Wo Willy Brandt recht hatte und wo er sich irrte

Es war ein unglaubliches Gedränge vor der Rostocker Marienkirche, heute vor 25 Jahren. Willy Brandt sollte eine Rede halten. Die Stimmung war fiebrig, die festgezurrten politischen Verhältnisse waren ins Wanken geraten, der Turm begann einzustürzen, aber es war noch nicht klar, in welche Richtung er kippen würde. Vor einem Monat hatte es eine Massendemonstration der Opposition auf dem Alexanderplatz gegeben, seit vier Wochen war die Mauer offen. Vor drei Tagen hatten Hunderttausende eine Menschenkette von Kap Arkona zum Fichtelberg gebildet - eine Aktion, die unter der Losung "Ein Licht für unser Land" stand, und nach 25 Jahren bundesdeutscher Geschichtsklitterung praktisch aus dem kollektiven Gedächtnis gelöscht ist, weil das Land, von dem da die Rede war, ausschließlich als "Unrechtsstaat" erinnert werden darf und sonst nichts.

21. November 2014

Die beste der Welten

Ich lebe nun schon mehr als die Hälfte meines Lebens im Westen, aber die Borniertheit dieser "besten der Welten" verblüfft mich immer noch und immer aufs Neue. Der Westen ist einfach unfähig, irgendetwas zu verstehen. Im aktuellen Spiegel eine - über weite Strecken gelungene - Titelgeschichte über junge Muslime aus Deutschland, die sich dem IS anschließen. Die Reporter versuchen, Antworten auf die Frage nach dem Warum aufzuspüren, und sie machen ihren Job vorbildlich, recherchieren, gehen in Gerichtssäle, sprechen mit Eltern, Freunden, Experten, besuchen Moscheen, Teestuben, Vereine - was man als Reporter so macht.

8. November 2014

In einem anderen Land

Die aktuelle Staats- und Parteiführung feiert die "friedliche Revolution, die ihren Höhepunkt am 9. November 1989 gefunden hat" (aus einer Programmankündigung der ARD). Nach einem Vierteljahrhundert ist vom subversiven Geist der 89er DDR-Bürgerbewegung nichts mehr übriggeblieben.

Rostock, Oktober 1989. Ein späterer Präsident war damals Pfarrer in Rostock. Dass er auch Bürgerrechtler war, erfuhren wir erst viel später, in einem anderen Land