14. Februar 2002

Herr Shaqiri würde gern nach Hause gehen

100.000 Roma wurden seit dem Ende des Jugoslawien-Krieges aus dem Kosovo vertrieben. Die NATO leistete Schützenhilfe zu dieser "ethnischen Säuberung"

 Von Boris Kanzleiter und Jörn Boewe

"Früher war ich Musli Shaqiri aus Urosevac", sagt der Mann und zeigt auf die Berge im Nordwesten. "Heute bin ich Musli Shaqiri Refudji.


Ein eisiger Wind weht aus Richtung Urosevac. Herr Shaqiri hat eine Strickjacke, die er über die Ohren ziehen kann, einen Schlafplatz auf einer Pritsche in einer Baracke und einen Kanonenofen. Feuerholz bekommt Herr Shaqiri von den Vereinten Nationen. Leider ist den Vereinten Nationen das Feuerholz Anfang Dezember ausgegangen.


Es gibt manchmal kein Wasser und oft keinen Strom, aber über mangelnde Gesellschaft kann sich Herr Shaqiri nicht beklagen. 1300 wohnen hier, denen geht es wie ihm, am Rand von Skopje, zwischen Müllhalden und Stacheldraht, im UNHCR Shutka Refugee Camp. Die "Refudjis" sind eine große Familie, scheint es. Eine Familie allerdings, die sich nicht freiwillig zusammengefunden hat. Denn alle Bewohner des Camps teilen ein gemeinsames Schicksal. Sie sind alle Roma, und sie wurden alle aus dem Kosovo vertrieben. Nicht zu Zeiten als Slobodan Milosevics Truppen dort ihr Unwesen trieben, sondern nachdem die Streitmacht des Westens, die 38.000 Soldaten der KFOR, in die Provinz eingerückt sind.


"Nach der Rückkehr ethnischer Albaner in den Kosovo im Juni 1999 und dem Einmarsch von NATO (KFOR) Truppen, führten ethnische Albaner eine ununterbrochene und brutale Kampagne der ethnischen Säuberung gegen die Roma im Kosovo und andere Personen, die als 'Zigeuner' bezeichnet wurden, durch", erklärt ein Report des European Roma Rights Center (ERRC) aus Budapest. "Albaner ermordeten und entführten Roma, vergewaltigten sie vor ihren Familien, brachen in Häuser ein und bedrohten sie mit dem Tod, falls sie am nächsten Morgen noch da sein würden. Sie raubten in großem Ausmaß Eigentum aus Häusern von Roma, hielten Roma auf den Straßen an und stahlen ihre Autos. Ganze Roma-Siedlungen wurden niedergebrannt", heißt es in dem Bericht. Die "größte einzelne Katastrophe, welche Roma nach dem Zweiten Weltkrieg getroffen hat", nennt das European Roma Rights Center die Vertreibung der Roma aus dem Kosovo.


Bei Rom e.V. in Köln schätzt man die Zahl der Roma Flüchtlinge aus dem Kosovo auf über 100.000. Auch etwa 200.000 Serben mussten vor dem Terror fliehen. Sie leben heute zum größten Teil bei Familienangehörigen oder in Flüchtlingsunterkünften in Serbien. Die Roma dagegen sind nirgends willkommen. "Wir bekommen alle vier Monate eine Duldung von der mazedonischen Regierung. Aber wir wissen nicht, wie lange das noch so weitergeht", sagt Musli Shaqiri.


Den Kosovo-Roma, die es vom Balkan in die Länder der Europäischen Union geschafft haben - viele von ihnen sind beim Versuch in der Adria ertrunken - geht es nicht viel besser. In Deutschland haben nach den Statistiken des Bundesamtes für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge (BAFL) in Nürnberg seit Juli 1999 bis zum Dezember vergangenen Jahres 13.280 Kosovo-Roma Asylanträge gestellt. So gut wie keiner wurde anerkannt. Ihnen kann alle sechs Monate eine Duldung erteilt werden.Auch wenn die westliche Öffentlichkeit blind zu sein scheint, für das was unter den Augen der KFOR und der UN-Übergangsverwaltung im Kosovo passiert, werden Roma im Allgemeinen nicht in den Kosovo abgeschoben. Zu offensichtlich ist die Gefährdung noch immer, wie auch ein Bericht der OSZE kürzlich deutlich feststellte. Die Ausnahme bestätigt die Regel. Immer mal wieder wurden in den letzten Jahren ein paar Roma in ein Flugzeug nach Prishtina verfrachtet - ob sie dort nun um ihr Leben fürchten mussten oder nicht. Dann schrieb Ruud Lubbers, UN-Hochkommissars für Flüchtlinge (UNHCR), besorgte Briefe an deutsche Innenminister. Die Bundesregierung, bemüht um ihre internationale Reputation, verspricht künftige Zurückhaltung bei der Abschiebung von Minderheiten in den Kosovo. Doch mindestens bis zum Herbst 2000 blieben die sporadischen Deportationen auf der Tagesordnung.


Die Innenminister der Länder haben eine Idee. Bei ihrer Konferenz in Meisdorf am 8. November baten sie den Bundesminister des Inneren, Otto Schily (SPD), "in Verhandlungen mit der Bundesrepublik Jugoslawien darauf hinzuwirken, dass grundsätzlich alle ausreisepflichtigen jugoslawischen Staatsbürger, z.B. auch nichtalbanische Minderheiten aus dem Kosovo, in das übrige Gebiet der Bundesrepublik Jugoslawien zurückgeführt werden können." Dass die Roma Opfer einer westlichen Politik sind, die den Terror der UCK nicht an die Kette legt, scheint die Minister nicht zu stören.


Musli Shaqiri aus Urosevac, jetzt "Refudji" in Skopje, denkt heute nur an morgen. Zukunft? Ein Fremdwort. Urosevac ist nicht weit weg, ganze 50 Kilometer. Aber für Herrn Shaqiri ist es weiter weg als Australien. Denn für Herrn Shaqiri und die anderen "Refudjis" gibt es keinen Platz mehr in Urosevac oder irgendwo sonst im Kosovo. Und damit sie es nicht vergessen, ziehen manchmal nachts Demonstranten vor das Tor des Shutka Refugee Camps. Sie rufen "Es lebe die UCK", "Kosova Republika" und andere Dinge. Sie schießen die Magazine ihrer AK-47-Sturmgewehre in den Himmel über Shutka und gehen nach Hause. Dann liegt Herr Shaqiri auf seiner Pritsche hinterm Stacheldraht und denkt, dass er auch gern nach Hause gehen würde.