Pioniergeist an der EU-Ostgrenze
Von Jörn Boewe, Berliner Morgenpost, 3. März 2002
Morgens
halb acht am Grenzübergang Mescherin, Uckermark: Ein paar Leute stehen
vor dem Fahrkartenschalter der Oderhaff Reederei Peters. In einer Stunde
sticht der schwimmende Duty-Free-Shop in See. "Billiger als in Polen"
wirbt Peters für seine Butterfahrten. Und wirklich: Die meisten Leute,
die hier zusteigen, kommen aus Gryfino und Umgebung.
Skurril
ist die Grenzökonomie. Nichts wird produziert, und dennoch verdienen
die einen und sparen die anderen Geld. Obwohl das Prozedere umständlich
ist: Polnische Dorfbewohner tragen ihre Euros über die Fußgängerbrücke
in den Westen, fahren mit dem Butterschiff zurück in die polnischen
Gewässer, kaufen Schnaps, Waschmittel, Tütensuppen, landen wieder am
deutschen Ufer, schleppen ihre Ausbeute über die Brücke abermals nach
Polen und machen mit diesem Hin und Her deutsche Reeder und
Handelskonzerne glücklich. Es gibt aber auch anderen Grenzverkehr.
Eine
Barkasse bahnt sich den Weg zwischen den Supermarktschiffen auf der
Oder bei Mescherin. Der Diesel tuckert und schnaubt Rauchwolken über die
Oderwiesen. Auch die Barkasse ist ein Teil dieser Grenzwirtschaft, doch
wird auf ihr keine Billigware verschifft. Ein Lieferwagen mit Berliner
Kennzeichen rollt die Dorfstraße entlang, kommt am Pier zum Halten. Der
Fahrer steigt aus, zündet sich eine Zigarette an. Ein Kruzifix und ein
Bild vom Papst hängen am Rückspiegel. Die Barkasse dampft zur
Zollstation. Die Zöllner gehen an Bord, kontrollieren Papiere und
Ladung. Nein, hier wird nichts geschmuggelt, weder Zigaretten, Koks noch
leichte Mädchen.
In den Containern liegen frisch
gewaschene Bademäntel, Handtücher, Tischdecken, Bettlaken. Auf manche
ist ein goldenes "A" wie Adlon gestickt, andere tragen die Initialen vom
Radisson, Interconti oder Grand Hyatt. Was da von Ost nach West über
die Oder schippert, ist die Wäsche der renommiertesten Berliner
Nobelhotels.
Der Skipper wirft ein Tau herüber. Die
Barkasse legt an der Kaimauer an. Der Fahrer drückt seine Zigarette aus.
Zeit ist Geld, wenn Fünf-Sterne-Wäsche verladen wird. Gestern wurde sie
aus Berlin geholt, über Nacht gewaschen und gebügelt. Heute vormittag,
16 Stunden später, wird sie zurückgebracht.
"Länger als
24 Stunden darfs nicht dauern", sagt der Mann, der für die besten
Häuser in Berlin wäscht. Er heißt Hubert Emming und ist eigentlich
Kraftwerksingenieur. Als er Ende der 80er das Gryfinoer Kohlekraftwerk
"Dolna Odra" modernisierte, kam ihm die Idee, Wärme und Dampf für eine
Wäscherei zu nutzen. Emming fing zu bauen an, bevor an Mauerfall und
deutsche Einheit zu denken war. Im Dezember 1992 war es soweit: Emming
und sein dyrektor Zbigniew Kasperski fingen mit 20 Leuten an, wuschen
täglich fünf Tonnen Wäsche. Zwei Jahre später waren es 14 Tonnen, die
Maschinen liefen auf Hochtouren.
Emming und Kasperski
dachten an Erweiterung, doch es gab ein Problem. Wenn die Laster an der
Grenze im Stau standen - und sie standen oft im Stau - konnte Emming
seine Termine nicht mehr halten. Hubert Emming ist kein Typ, der
abwartet. 1995 kaufte er ein kleines Schubschiff mit Schwimmplattform,
betonierte Anlegestellen an beiden Ufern des Flusses und bekam
tatsächlich die Genehmigung der deutschen und polnischen Behörden für
seine private Fährverbindung an der EU-Außengrenze. "Von da an konnte es
uns egal sein, wenn es hieß: Grenzübergang Pomellen: 24 Stunden
Wartezeit für Lkw." Mittlerweile wäscht Emming fast 30 Tonnen Wäsche
täglich, "in einer der modernsten Anlagen Europas", hat 250 Angestellte
in Gryfino und 30 weitere in Berlin, dazu vier Auszubildende.
Das
Grenzregime war nicht die einzige Widrigkeit, mit der der Mann zu
kämpfen hatte. Kritiker, die sich um die deutsche Wirtschaft sorgten,
machten Stimmung. "Mindestens hundert Arbeitsplätze in Berlin" seien
verloren gegangen, weil Emming seine Wäscherei östlich der Oder
errichtet habe, sagte Hans-Albert Heim von der Textilinnung, und die
Konkurrenz stimmte ein. "Dann dürfte hier keiner mehr ein Hemd kaufen,
weil es im Ausland genäht wurde", wetterte Emming und rechnete dagegen:
Zwar verdienen seine Wäscherinnen nur halb soviel, wie er in Berlin
zahlen müsste - auch wenn die 400 Euro für polnische Verhältnisse ein
anständiges Gehalt sind. Doch dagegen stehen Kosten für Fuhrpark,
Logistik und eine Viertelmillion Euro Zoll jährlich. "Es gibt Firmen in
Berlin, die waschen billiger als wir", sagt Emming. Auch Service und
Qualität müssten stimmen.
Ohnehin würden die polnischen
Löhne anziehen, wenn das Land erst in der Europäischen Union sei.
Dennoch wolle er den Beitritt so schnell wie möglich. "Schließlich
hindert uns die Grenze, ganz normal miteinander zu leben und zu
arbeiten." Mit der schmutzigen Wäsche aus Berlin schippert Emmings
Barkasse von Mescherin zurück nach Gryfino. Ein paar Jahre wird er sie
noch brauchen.