5. Mai 2008

Eberswalde - Wandlitz. Mit dem Rad durch den Barnim. 30. April 2008

Der Job bei einer Tageszeitung bringt es mit sich, daß man ziemlich oft an Sonn- und Feiertagen arbeiten muß, aber am Tag davor hat der Redakteur grundsätzlich frei.

In diesem Jahr hatte sich, dem sehr milden Winter zum Trotz (dem zweiten praktisch frostfreien in Folge) der Frühling sehr spät eingestellt. Wir hatten einen echten Frühlingstag am 28. März, dem Tag, als ich von meiner Elbsandsteintour nach Berlin und Britta und Tim Oskar aus Stuttgart zurückkehrten. Aber danach blieb es die nächsten drei Wochen ziemlich kühl und unbehaglich.

Gegen Monatsende erst sah es etwas freundlicher aus, und da am Internationalen Kampftag der Arbeiterklasse keine Zeitung erscheint, nicht mal ein offiziell anerkannt traditionskommunistisches Blatt wie die junge Welt, und der 30. April für den Rest der Welt - also auch für den evangelischen Kindergarten von Tim Oskar - ein ganz normaler Werktag war, konnte ich machen, was ich wollte.

Ich packte also Proviant, Kamera, Notizbuch, Regenjacke, Sonnenbrille, GPS-Empfänger und die ADFC-Karte »Berlin und Umgebung« (1: 75.000) in meine Fahrradtasche, brachte T. O. um 8.30 in seine Kita und fuhr zum Ostbahnhof.

Von da nahm ich 9.09 die S-Bahn nach Lichtenberg, stieg 9.44 in den Regionalzug OE 60 der Ostdeutschen Eisenbahngesellschaft (Odeg) nach Wriezen und 10.22 in Eberswalde aus.

Diese Gemeinde hat für mich wenig Reiz, sie erinnert an Antifa-Demos der frühen der 90er Jahre, aufrechte, hoffnungslose Desparado-Reaktionen auf den Lynchmord an dem Angolaner Amadeu Antonio Kiowa Ende November 1990, Westberliner Bereitschaftspolizisten, die hier im Osten - mehr oder weniger unbeobachtet und mit der heimlichen Sympathie einer tendenziell profaschistischen Provinzgemeinde im Rücken - so richtig die Sau rausließen. Ich weiß nicht, was mich damals mehr schockierte – ihre High-Tech-Waffen (Elektroschocker, Tonfas, Fangnetze, chemische Keulen), diese völlig ungehemmte Aggression gegen links, der weiße Terror unter dem Deckmantel der demokratischen Ordungsmacht oder die offenkundige Tatsache, daß den Bürgern von Eberswalde all das am Arsch vorbei ging, genau wie es ihnen am Arsch vorbeigegangen war, als ihre Nazis den Neger auf der Straße totschlugen.

Einer der schnellsten und schönsten Wege raus aus diesem Kaff führt vom mit Aufbau-Ost-Mitteln aufgehübschten Bahnhofsvorplatz schräglinks, also nordwestlich, über die Eisenbahnbrücke zum alten Finowkanal.

Von da an kann man nicht mehr viel falsch machen, außer daß man gelegentlich auf der falschen Seite des Kanals radelt, wo der befestigte Weg plötzlich abrupt endet und man sich entscheiden muß, sich entweder bis zur nächsten Brücke durchs Unterholz zu kämpfen oder umzukehren. Ich empfehle das Durchkämpfen.

Der Kanal selbst, verwildert, wie er mittlerweile ist, hat sowohl für den Naturliebhaber als auch für Aficionados alter Industriearchitektur einiges zu bieten.




















An der Finowfurter Schleuse bog ich links, also nach Süden, Richtung Marienwerder/Prenden, ab.

Ab hier trifft man am Wegrand allerorten auf eine Mischung nicht kaputtzukriegender Natur und sozio-architektonischer Monströsitäten. Erfreulicherweise scheint die Natur die Oberhand zu behalten. Irgendwann passierst du ein Forsthaus, in dem offensichtich eine Frau mit grünem Daumen wohnt, die Gemeinde Prenden, in der man – leider nur einmal in der Woche, und dann noch zu unmöglicher Zeit, donnerstags von 10 bis 17 Uhr – quicklebendigen Binnenfisch aus den lokalen Seen kaufen kann, und, bereits in der Gemarkung Wandlitz, ein paar Relikte sozialistischer Landwirtschaft.






























Dann war ich auch schon am Ziel meiner Tour. Mein Kollege Rainer Balcerowiak, der vor zwei Jahren aus seinem geliebten Westberlin nach Wandlitz rausgezogen war, hatte ein paar erstklassige türkische Lammkoteletts auf den Grill gelegt und nebenbei noch Rosmarin-Bratkartoffeln, grüne Bohnen und Tomatensalat mit steirischem Kernöl hergezaubert. Dazu gabs einen exzellenten Kekfrankos (Blaufränkischen) von Horst Hummels ungarischem Weingut in Villány.

Nach dem Essen griffen wir ein bißchen in die Saiten. Rainer, der studierter Musiker ist, verfügt über eine beachtliche Sammlung elektrischer und akustischer Gitarren – Mandolinen, Balalaikas, Banjos und Bässe nicht mitgezählt. Einen Teil davon hat er als Wendegewinnler vor einigen Jahren nach eigenen Angaben - vermutlich für einen Appel und ein Ei – vom früheren Renft-Gitarristen Gerulf Pannach erworben. Damals wechselten ja nicht wenige Produktionsmittel aus der DDR-Konkursmasse für die legendäre eine D-Mark den Besitzer.

Satt, zufrieden und ehrlichen Herzens bedankte mich für die Bewirtung und fuhr um 17.34 vom Bahnhof Wandlitzsee mit der Heidekrautbahn der Niederbarnimer Eisenbahngesellschaft (NEB), einem Tochterunternehmen der Transportsparte des Veolia-Konzerns zurück nach Berlin. In Karow stieg ich in die S 2 um, kam eine Stunde später am Anhalter Bahnhof in Kreuzberg an und war kurz vor sieben zu Hause.

Eberswalde - Wandlitz. Mit dem Rad durch den Barnim at EveryTrail


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