Der Job bei einer Tageszeitung bringt es mit sich, daß man ziemlich
oft an Sonn- und Feiertagen arbeiten muß, aber am Tag davor hat der
Redakteur grundsätzlich frei.
In diesem Jahr hatte
sich, dem sehr milden Winter zum Trotz (dem zweiten praktisch
frostfreien in Folge) der Frühling sehr spät eingestellt. Wir hatten
einen echten Frühlingstag am 28. März, dem Tag, als ich von meiner
Elbsandsteintour nach Berlin und Britta und Tim Oskar aus Stuttgart
zurückkehrten. Aber danach blieb es die nächsten drei Wochen ziemlich
kühl und unbehaglich.
Gegen Monatsende erst sah es
etwas freundlicher aus, und da am Internationalen Kampftag der
Arbeiterklasse keine Zeitung erscheint, nicht mal ein offiziell
anerkannt traditionskommunistisches Blatt wie die junge Welt, und der
30. April für den Rest der Welt - also auch für den evangelischen
Kindergarten von Tim Oskar - ein ganz normaler Werktag war, konnte ich
machen, was ich wollte.
Ich packte also Proviant,
Kamera, Notizbuch, Regenjacke, Sonnenbrille, GPS-Empfänger und die
ADFC-Karte »Berlin und Umgebung« (1: 75.000) in meine Fahrradtasche,
brachte T. O. um 8.30 in seine Kita und fuhr zum Ostbahnhof.
Von
da nahm ich 9.09 die S-Bahn nach Lichtenberg, stieg 9.44 in den
Regionalzug OE 60 der Ostdeutschen Eisenbahngesellschaft (Odeg) nach
Wriezen und 10.22 in Eberswalde aus.
Diese Gemeinde hat
für mich wenig Reiz, sie erinnert an Antifa-Demos der frühen der 90er
Jahre, aufrechte, hoffnungslose Desparado-Reaktionen auf den Lynchmord
an dem Angolaner Amadeu Antonio Kiowa Ende November 1990, Westberliner
Bereitschaftspolizisten, die hier im Osten - mehr oder weniger
unbeobachtet und mit der heimlichen Sympathie einer tendenziell
profaschistischen Provinzgemeinde im Rücken - so richtig die Sau
rausließen. Ich weiß nicht, was mich damals mehr schockierte – ihre
High-Tech-Waffen (Elektroschocker, Tonfas, Fangnetze, chemische Keulen),
diese völlig ungehemmte Aggression gegen links, der weiße Terror unter
dem Deckmantel der demokratischen Ordungsmacht oder die offenkundige
Tatsache, daß den Bürgern von Eberswalde all das am Arsch vorbei ging,
genau wie es ihnen am Arsch vorbeigegangen war, als ihre Nazis den Neger
auf der Straße totschlugen.
Einer der schnellsten und
schönsten Wege raus aus diesem Kaff führt vom mit Aufbau-Ost-Mitteln
aufgehübschten Bahnhofsvorplatz schräglinks, also nordwestlich, über die
Eisenbahnbrücke zum alten Finowkanal.
Von da an kann
man nicht mehr viel falsch machen, außer daß man gelegentlich auf der
falschen Seite des Kanals radelt, wo der befestigte Weg plötzlich abrupt
endet und man sich entscheiden muß, sich entweder bis zur nächsten
Brücke durchs Unterholz zu kämpfen oder umzukehren. Ich empfehle das
Durchkämpfen.
Der Kanal selbst, verwildert, wie er
mittlerweile ist, hat sowohl für den Naturliebhaber als auch für
Aficionados alter Industriearchitektur einiges zu bieten.
An der Finowfurter Schleuse bog ich links, also nach Süden, Richtung Marienwerder/Prenden, ab.
Ab
hier trifft man am Wegrand allerorten auf eine Mischung nicht
kaputtzukriegender Natur und sozio-architektonischer Monströsitäten.
Erfreulicherweise scheint die Natur die Oberhand zu behalten. Irgendwann
passierst du ein Forsthaus, in dem offensichtich eine Frau mit grünem
Daumen wohnt, die Gemeinde Prenden, in der man – leider nur einmal in
der Woche, und dann noch zu unmöglicher Zeit, donnerstags von 10 bis 17
Uhr – quicklebendigen Binnenfisch aus den lokalen Seen kaufen kann, und,
bereits in der Gemarkung Wandlitz, ein paar Relikte sozialistischer
Landwirtschaft.
Dann
war ich auch schon am Ziel meiner Tour. Mein Kollege Rainer
Balcerowiak, der vor zwei Jahren aus seinem geliebten Westberlin nach
Wandlitz rausgezogen war, hatte ein paar erstklassige türkische
Lammkoteletts auf den Grill gelegt und nebenbei noch
Rosmarin-Bratkartoffeln, grüne Bohnen und Tomatensalat mit steirischem
Kernöl hergezaubert. Dazu gabs einen exzellenten Kekfrankos
(Blaufränkischen) von Horst Hummels ungarischem Weingut in Villány.
Nach
dem Essen griffen wir ein bißchen in die Saiten. Rainer, der studierter
Musiker ist, verfügt über eine beachtliche Sammlung elektrischer und
akustischer Gitarren – Mandolinen, Balalaikas, Banjos und Bässe nicht
mitgezählt. Einen Teil davon hat er als Wendegewinnler vor einigen
Jahren nach eigenen Angaben - vermutlich für einen Appel und ein Ei –
vom früheren Renft-Gitarristen Gerulf Pannach
erworben. Damals wechselten ja nicht wenige Produktionsmittel aus der
DDR-Konkursmasse für die legendäre eine D-Mark den Besitzer.
Satt,
zufrieden und ehrlichen Herzens bedankte mich für die Bewirtung und
fuhr um 17.34 vom Bahnhof Wandlitzsee mit der Heidekrautbahn der
Niederbarnimer Eisenbahngesellschaft (NEB), einem Tochterunternehmen der
Transportsparte des Veolia-Konzerns zurück nach Berlin. In Karow stieg
ich in die S 2 um, kam eine Stunde später am Anhalter Bahnhof in
Kreuzberg an und war kurz vor sieben zu Hause.
Eberswalde - Wandlitz. Mit dem Rad durch den Barnim at EveryTrail
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