Brandenburg: Frankiermaschinenhersteller FP entläßt 111
Mitarbeiter und blockiert Sozialplan. IG Metall protestiert,
Wirtschaftsminister legt Förderantrag auf Eis
Von Jörn Boewe, junge Welt, 29. Sept. 2011
Birkenwerder
liegt drei Kilometer nordwestlich von Berlin, zwischen Mühlenbecker
Land und Havel. 20er-Jahre-Bauhaus-Charme, 90er-Jahre-Vorort-Tristesse.
Es gibt eine Gemeindebibliothek in der Villa der KPD-Mitbegründerin und
Reichstagsalterspräsidentin Clara Zetkin und Wohnparks mit glasierten
Ziegeln, bonbonfarben. Dazwischen, als Hoffnungsschimmer aus der
Vergangenheit, eine Erich-Mühsam-Straße.
Wirtschaft im
engeren Sinn findet hier kaum statt. Aber seit ein paar Jahren wird mit
harten Bandagen gekämpft. Francotyp Postalia (FP), Deutschlands
führender Frankiermaschinenhersteller, produziert hier mit 380 Leuten.
Produzierte, muß man sagen. Denn 111 Beschäftigte, darunter sämtliche
Produktionsarbeiter, erhielten Ende August ihre Kündigung. 160 Kilometer
weiter Richtung Hamburg, in Wittenberge, wird die Fertigung neu
aufgebaut. Einziger Grund: Tarifflucht. FP will die Löhne um bis zu 40
Prozent absenken und den Leiharbeitereinsatz um 40 Prozent erhöhen.
Rote
Fahnen sieht man seit ein paar Jahren in Birkenwerder eher selten, aber
an diesem Mittwoch ist das anders. Ein Pulk Arbeiter hat sich vor dem
Werkstor von FP im Gewerbegebiet am Triftweg versammelt. Die
IG-Metall-Sekretärin Stefanie Jahn steht auf einem Lkw und hält eine
Rede. Der Geschäftsführer, ein Hans Szymanski, habe angeboten, alle
Gekündigten in eine Transfergesellschaft zu überführen. Nur ihre
Kündigungsschutzklagen müßten sie zurückziehen. Nun ja, und finanziert
werden müßte die Gesellschaft aus dem Abfindungsfonds. »Ich habe auf
dieses Angebot nicht mal geantwortet«, sagt Jahn unter dem Beifall der
Beschäftigten.
Vielleicht ein Drittel der Belegschaft
ist heute vor das Tor gekommen, sogar ein paar der rund 40 Leiharbeiter
sind darunter. Verwaltungsangestellte sieht man kaum. »Die haben einfach
Schiß«, sagt jemand. Für ihren Bereich stricken »Szymanski und sein
Troß« schon die nächsten Entlassungspläne, munkelt man.
Als
nächster redet einer, der Szymanski gut kennt. Werner Dreibus, der
Bundesgeschäftsführer der Partei Die Linke, klettert auf die Ladefläche
und geht ans Mikrofon. Als Erster Bevollmächtigter der IG Metall in
Offenbach saß er mit ihm vor ein paar Jahren am Verhandlungstisch, als
es um die Arbeitsplätze der früheren Siemens-Tochter Dematic ging, die
2006 an einen Finanzinvestor verkauft worden war. Dann kam Szymanski und
legte los: Tarifvertrag gekündigt, Entlassungen, radikales
Sparprogramm. »Szymanski ist jemand, der kennt noch nicht mal eure
Namen«, sagt Dreibus, »für den seid ihr nur eine Ziffer in der Bilanz.
Ein skrupelloser Trickser und Täuscher, der für sich persönlich viel
abkassiert hat, aber für das Unternehmen, für das er tätig war, nichts
gebracht hat, im Gegenteil.« Dreibus redet laut, und wenn er könnte,
würde er jetzt den Lautsprecher noch ein Stück in Richtung Chefetage
drehen. Nachdem Szymanski in Offenbach »ein Jahr lang sein Unwesen
getrieben« habe, sei er »von seiner Heuschrecke als offensichtlich
untauglich rausgeschmissen« worden.
»Täuscher und
Trickser«, das sind harte Worte, selbst auf einer IG-Metall-Kundgebung.
Aber sie kommen nicht von ungefähr. Ende August kam ein Sozialplan für
die Beschäftigten zustande. Nicht auf dem Verhandlungsweg, sondern durch
den Schiedsspruch einer Einigungsstelle. Doch 7,5 Millionen Euro
Abfindungsvolumen waren FP zuviel. Das Unternehmen focht den Spruch vor
dem Arbeitsgericht Neuruppin an. Die Erfolgsaussicht für FP ist nicht
groß – auch vor dem Hintergrund, daß der Einigungsstelle ein Richter des
Bundesarbeitsgerichts vorsaß. Doch darum geht es gar nicht. »Hier soll
Zeit gewonnen werden«, meint IG-Metallerin Jahn. Im Herbst zunächst ein
Gütetermin (»bei dem natürlich nichts herauskommen kann«), dann
vielleicht Anfang nächsten Jahres die Verhandlung. In einem Jahr
womöglich die Berufungsverhandlung, und je nachdem, ob das
Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg Revision beim BAG zuläßt, wäre
dann Schluß oder nicht. Währenddessen warten die Gekündigten auf ihre
Abfindungen. Es sei denn, sie ziehen ihre Kündigungsschutzklagen zurück
und verzichten auf einen Großteil ihrer Ansprüche. 60 Prozent sofort –
das sei den Leuten signalisiert worden, so die Gewerkschaftssekretärin.
»Es geht darum, die Leute mürbe zu machen«, bekräftigt Gabriele
Hackbarth, Gesamtbetriebsratsvorsitzende, gegenüber junge Welt. »Da ist
regelrechtes Mobbing im Spiel.«
Immerhin: Ein Antrag
auf finanzielle Förderung der Produktionsansiedlung in Wittenberge wurde
bislang von der SPD-Linke-Landesregierung nicht bewilligt. Noch vor
einem halben Jahr hatte Wirtschaftsminister Ralf Christoffers (Die
Linke) das Ansinnen von FP als »förderwürdig« bezeichnet. Mittlerweile
ist der öffentliche Druck jedoch so groß, daß alle im Landtag
vertretenen Parteien dagegen sind.