Linksparteichefin Gesine Lötzsch und DIW-Ökonom Karl Brenke diskutieren über »Fachkräftemangel«
Von Jörn Boewe, junge Welt, 1. Feb. 2011
Wenn
ein Unternehmen, das andere »Unternehmen bei der sozialverträglichen
und verantwortungsvollen Durchführung von Stellenabbau« unterstützt,
eine »Arbeitsmarktdebatte« mit Linksparteichefin Gesine Lötzsch und dem
Gesamtmetall-Chefökonom Michael Stahl veranstalten will, könnte das
vielleicht ganz interessant werden.Wird es aber nicht. Man ahnt es, wenn
man den Titel liest: »Fachkräftemangel – Drama oder Chance?«
Parteivorsitzende Lötzsch äußert sich, wie wir wissen, auch gern mal zu
eher abseitigen Themen.
Immerhin, das
Ambiente paßt. Montag früh, im Café Einstein, Unter den Linden 42.
Hier, wo Hauptstadtjournalisten mit Ministerialbürokraten und
Bundestagshinterbänklern Gerüchte tauschen, ist man schon froh, wenn
sich das intellektuelle Niveau der Konversation irgendwie vom Geklimper
der Latte-Macchiato-Tassen abhebt.
Herr Stahl von
Gesamtmetall ist leider verhindert. Für ihn springt Karl Brenke vom
Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) ein, das formal
unabhängig, finanziell halbstaatlich und politisch dann doch eher
unternehmernah ist. Insofern paßt auch das.
Moderiert wird das Ganze vom ehemaligen Max-Chefredakteur Hajo Schumacher, der sonst u.a. mit dem ehemaligen Bild-Chefredakteur Hans-Hermann Tiedje bei N24 die Talkshow »Links-Rechts« macht.
»Der
Fachkräftemangel«, eröffnet Schumacher die Debatte, »der wabert ja seit
Jahren durch die Gegend.« Das war vielleicht das falsche Stichwort,
denn jetzt wabert es die nächste Stunde völlig ungehemmt weiter. Gesine
Lötzsch weist darauf hin, daß es in den vergangenen zwei Jahrzehnten
vielen süddeutschen Unternehmen gelungen sei, ihren Fachkräftemangel
durch Zuwanderung aus dem Beitrittsgebiet zu »überbrücken«. Im Übrigen
will sie den Begriff Fachkraft nicht so eng definiert haben. »Man muß
die Kompetenz für die jeweilige Aufgabe haben«, darum geht es. Viele
Talente würden in der Gesellschaft auch verschwendet, weiß Lötzsch aus
ihrer »täglichen Arbeit als Abgeordnete« zu berichten, z.B. die von
Spätaussiedlern aus der ehemaligen Sowjetunion (»im Volksmund
Rußlanddeutsche genannt«). Obwohl viele von ihnen »hohe Qualifikationen«
hätten, »können sie in ihren Berufen nicht arbeiten«, weiß die
Linke-Chefin. Und berichtet vom haarsträubenden Fall eines
tschetschenischen Chirurgen, der in Senftenberg praktiziert (»er darf
nur in Senftenberg arbeiten«), während seine Familie in Berlin wohnt und
ihn nicht besuchen darf. »In Senftenberg?«, fragt Schumacher. »Was hat
der Mann verbrochen?« Aber das will Gesine Lötzsch jetzt nicht
vertiefen, es war nur ein Beispiel.
Jetzt Brenke. Im
Gegensatz zur Politikerin formuliert der Wissenschaftler seine Thesen
eher harmlos. Daß sie das gar nicht sind, merken die Leute erst, nachdem
er sie vier, fünf mal wiederholt hat. »Es gibt in Deutschland fast
keinen Beruf, in dem ich keine Arbeitskräfte finde«, sagt er. Keine
Reaktion. »Wir beschäftigen heute immer noch weniger
Maschinenbauingenieure als vor der Krise.« Immer noch nichts. »Wir haben
überhaupt keinen Fachkräftemangel.« Ah, ja, aber wir reden doch drüber –
also wird da doch wohl ein Problem sein, oder nicht? Die »Klagen über
den angeblichen Fachkräftemangel« seien »politisch motiviert«, stellt
Brenke klar: Nicht von ungefähr seien sie »mit der Forderung nach
verstärkter Zuwanderung« verbunden und also eine Debatte, fingiert mit
dem Ziel, die Löhne »in einem bestimmten Segment« zu senken, sagt der
Mann vom DIW.
Was sagt die Linke? Die Linkspartei hat
ein starkes Bedürfnis, ihre Seriosität zu beweisen. Das macht man in der
Berliner Republik, z.B., indem man konstruktiv mit dem politischen
Gegenüber über ein Problem diskutiert, das es gar nicht gibt.
Jugendliche bräuchten mehr Berufspraktika während der Schulzeit, sagt
Lötzsch, was gewiß nicht falsch ist. Qualifiziertere Berater in den
Arbeitsagenturen wären auch nicht schlecht. Es kommt kein Dampf in die
Debatte. Dampf kommt hier nur aus der Espressomaschine, es wabert noch
ein Weilchen mit der Konsistenz von lauwarmer Luft, dann ist Schluß.
Gesine Lötzsch muß zum nächsten Termin.