Zehn vor fünf mußte ich aus dem Haus, damit ich um sieben bei General
Motors war. Einmal von Süd nach Nord durch die ganze Stadt. Lucas, der
wahnsinnige Taxifahrer, mit dem ich die Wohnung teilte, surfte mit
seinem grünen VW-Käfer irgendwo durch die unendlichen Weiten Mexico
Citys. Wenn jemand für Lucas anrief, wußte ich nie, ob er gerade »immer
noch« oder »schon wieder« arbeitete. Es war sowieso dasselbe. Luke
Skywalker flog durch den Hyperraum, wo die Begriffe der Newtonschen
Physik keine Anwendung mehr fanden.
Ich
sprang aus der Dusche, die mich um diese Uhrzeit nie enttäuschte, das
heißt, es kam Wasser heraus (kaltes), trocknete mich in der kleinen
Küche ab, wärmte meine Hände an der Kaffeetasse und überlegte, ob ich
mir ein paar Maistortillas auf der Herdplatte ankokeln sollte, da
klingelte das Telefon.
»Nein«, sagte ich in den
Hörer, »Ja, immer noch.« Ich bevorzugte das »immer noch«, wenn jemand
nach Lucas fragte. Erstens lag eine Spur Optimismus darin, und zweitens
betonte es den vorläufigen Charakter von Lukes Mission, denn ewig konnte
dieser Wahnsinn nicht weitergehen. »Lesen Sie heute den Polizeireport
in der Jornada«, sagte ich. »Wenn ich bis morgen nichts von ihm
höre, rufe ich beim Verkehrsdezernat an.« Ich legte auf. Die Dame war
ziemlich nervös gewesen. Skywalker hatte eigentlich keine
Frauengeschichten mehr. Es war wohl eine von den sieben oder acht
ledigen Müttern gewesen, denen er Unterhalt für soundsoviele kleine
schwarzhaarige und schwarzäugige Mexibälger zahlen mußte.
Ich
würde nicht vor Dienstag bei den Bullen anrufen. Das waren noch vier
Tage. Wenn man bis dahin nicht eine dreckige Socke von Skywalker vor die
Nase bekam, lag das im Rahmen seiner Möglichkeiten. Aber dienstags
hatte sein Käfer Fahrverbot, hoy no circula, eine Regelung, die
die Regierung des Distrito Federal (D. F.), der größten Stadt der
Dritten und überhaupt der Welt, in den Achtzigern eingeführt hatte, als
es immer mehr Leuten auffiel, daß der Smog unerträglich wurde. Jedes im
D. F. zugelassene Fahrzeug mußte an einem bestimmten Wochentag
stehenbleiben, an welchem, hing von der Ziffernkombination auf dem
Nummernschild ab. Das Ganze hatte natürlich überhaupt nichts geholfen.
Es war nur eine zusätzliche Einnahmequelle für korrupte Beamte, die
Ausnahmegenehmigungen ausstellten oder Strafzettel verschwinden ließen.
Ich
schloß die Tür und stolperte die Treppe hinunter. Ich lag noch
einigermaßen in der Zeit, bloß die Haustür ging nicht auf. Ich stemmte
meine 140 Pfund dagegen, und sie ließ sich einen Spalt breit öffnen. Ein
fetter Straßenköter hatte sich zum Schlafen davor gelegt. Moment,
dachte ich, seit wann gibt es in dieser Stadt fette Straßenköter? War
das jetzt das ökonomische Take-off, der Absprung in die Erste Welt?
Hatte man den Präsidenten für seine Wirtschaftspolitik zu Unrecht
gescholten?
Ich hatte mich geirrt. Das war kein dicker Hund. Das war ein Knäuel aus
drei Hyänen-Coyoten-Bastarden, die sich unter dem Druck meines
Frontalangriffs umständlich entknoteten und schlaftrunken
davonhumpelten. Alle drei waren vom selben undefinierbaren Ockergelb wie
die ganze Colonia Zapote, wie die Delegación Guerrero, Ciudad Neza und
alle diese Arbeiter- und Armenviertel, die mit aller Kraft gegen den
Abstieg in den Status von Slums ankämpfte. Den ersten Stau des Tages
hatte ich also überwunden, bevor ich meinen linken Fuß vor die Haustür
setzte.
(México D. F. 1994)