Internationale Transportarbeiterföderation kontrolliert Einhaltung von Tarifverträgen auf Schiffen an der deutschen Küste
Von Jörn Boewe, Wismar, junge Welt, 5. Sept. 2012
Früh
um neun im Gewerkschaftshaus in der Rostocker August-Bebel-Straße. Die
dritte Etage gehört ver.di, sagt ein freundlicher, älterer Besucher,
aber in Rostock sind alle Gewerkschaften klamm, deshalb hätten sie einen
Teil vermietet, »an diese Seefahrergewerkschaft, glaube ich«. »Diese
Seefahrergewerkschaft« besteht am Dienstag morgen aus dem Nigrer Hamani
Amadou und sechs Hafenarbeitern, zweien aus Rostock, vieren aus Lübeck.
Amadou
recherchiert im Internet, welche Schiffe heute in die Ostseehäfen der
Region einlaufen: Rostock, Wismar, Lübeck, Kiel. Kein Schiff fährt heute
mehr unentdeckt ohne Tarifvertrag über die Weltmeere. Dank GPS und
Internet kann seine Position genau bestimmt werden. Amadou kann auf
verschiedene Datanbanken zugreifen – die der Internationalen
Transportarbeiterföderation (ITF) in London wie auch das ebenfalls an
der Themse ansässige Internationale Schiffsregister von Lloyd.
Eigentümer, tariflicher Status und weitere Einzelheiten können heute
schneller zusammengestellt werden, als eine Möwe auf Deck scheißt.
Aktionswoche
»Hafenarbeiter
und Seeleute gemeinsam«, sagt Amadou, »darum geht es hier. Das ist das
Wichtigste. Ich kontrolliere jeden Tag Schiffe. Aber die Hafenarbeiter
einzubeziehen, das ist das Besondere an dieser Aktion.« Amadou ist der
einzige Hauptamtliche im Trupp. Seit einem Jahr arbeitet er als
ITF-Inspektor in Rostock. Die Docker sitzen bei Kaffee und Brötchen, sie
machen das ehrenamtlich. Sie haben Urlaub genommen, um die Baltic
Action Week, die ITF-Ostseeaktionswoche, zu unterstützen. »Ich arbeite
bald 25 Jahre am Hafen«, sagt Stefan, »aber bei der Action Week bin ich
erst zum zweiten Mal dabei. Nun, man möchte wenigstens ein bißchen dafür
tun, den eigenen Job etwas sicherer zu machen.«
Immer
mehr Unternehmen setzen auf die selbst ent- und beladende Besatzung.
Gerade auf kurzen Strecken lohnt sich das für die Reeder. Die Jobs der
Hafenarbeiter werden dadurch unsicher. Die Tarifverträge der ITF
verbieten diese Praxis jedoch. Nicht zuletzt deshalb haben die
Beschäftigten so starkes Interesse daran, daß möglichst viele Schiffe
unter Tarifvertrag kommen.
Wie schon in den Vorjahren
führen die ITF und ihre deutsche Partnerorganisation ver.di vom 3. bis
zum 7. September ihre Ostseeaktionswoche durch. Ziel der ist es,
Arbeits- und Lebensbedingungen auf Schiffen zu überprüfen und
Sozialdumping sowie unwürdige Verhältnisse auf See aufzudecken. Während
der Woche werden in Hamburg, Bremen, Bremerhaven, Lübeck, Wismar und
Rostock ITF-Trupps eingesetzt, um die Schiffe zu kontrollieren und zu
prüfen, ob ITF-Verträge eingehalten werden.
3100 unter Billigflagge
»Angesichts
des immer schärfer werdenden Wettbewerbs auf dem Schiffsmarkt versuchen
Billigflaggen, mit möglichst geringen Gebühren und einem minimalen
Ordnungsrahmen für sich zu werben«, erklärte
ver.di-Bundesvorstandsmitglied Christine Behle am Montag im Aufruf ihrer
Gewerkschaft. »Viele Reeder beschäftigen auf Billigflaggenschiffen die
billigsten Arbeitskräfte, die sie finden können. Sie zahlen minimale
Heuern und reduzieren die Kosten zusätzlich dadurch, daß sie die Lebens-
und Arbeitsbedingungen für die Besatzung immer weiter absenken. Neben
niedrigen Löhnen sind auch ungenügende Verpflegung und mangelnde
Versorgung von Kranken ein großes Problem. Solche Mißstände müssen
aufgedeckt und gestoppt werden.«
Allein 3100 deutsche,
das heißt: von deutschen Eigentümern kommerziell betriebene, Schiffe
fahren nach Angaben von ver.di unter einer Billigflagge. Ungefähr ein
Drittel der auf ihnen angeheuerten Seeleute unterliegt keinem
Tarifvertrag.
Die Kontrollen der ITF bildeten eine
»wichtige Grundlage, um diese Problematiken anzugehen«, heißt es bei
ver.di. 2011 wurde im Rahmen der Aktionswoche ein Schiff boykottiert,
also nicht abgefertigt. Insgesamt konnte die Gewerkschaft im vergangenen
Jahr allein in Deutschland etwa eine Million US-Dollar an ausstehenden
Löhnen für die Seeleute erfolgreich einfordern und »hereinholen«.
Weltweit waren es 26 Millionen Dollar.