Beschäftigte der Volkswerft Stralsund hoffen auf Insolvenz in Eigenverwaltung. Heute tagt der Gläubigerausschuß
Von Jörn Boewe, Stralsund, junge Welt, 6. Sept. 2012
Die
Stimmung ist gedrückt auf der Volkswerft Stralsund. Der
Schiffbaubetrieb gehört zur »P+S«-Gruppe, die in der vergangenen Woche
Insolvenz angemeldet hat. Im Konferenzraum des Betriebsrates hängt ein
zehn Jahre altes IG-Metall-Plakat. »Kein Aus für Flender« steht darauf.
2002 wurde die Lübecker Flender-Werft geschlossen. »Da sind wir damals
hin und haben mitgeheult«, sagt Betriebsrat Hans-Jürgen Fischer. »Und
jetzt sind wir selber kurz davor.«
Hamani
Amadou, Inspektor der Internationalen Transportarbeiterföderation ITF,
ist mit seinem Team von »Volunteers«, Hafenarbeitern aus Lübeck und
Rostock vorbeigekommen. Eigentlich sollen sie Schiffe auf Tarifverträge
kontrollieren. Warum sind sie hier, auf einer Werft, im
Organisationsbereich der IG Metall? »Solidarität ist die Basis jeder
Gewerkschaftsorganisation«, sagt Hamani. »Hier werden die Schiffe
gebaut, auf denen die Seeleute fahren, die wir organisieren, die unsere
Mitglieder in den Häfen be- und entladen. Wenn ihr leidet, leiden wir
auch.« Wenn Ministerpräsidenten so etwas sagen, klingt es nach falschem
Pathos, und das ist es auch. Nicht so bei Hamani.
»Eure
Situation ist uns nicht fremd«, sagt Christian, der sonst im Lübecker
Hafen einen Gabelstapler fährt. »Ausländisches Kapital kauft sich in die
Häfen wie in die Werften ein und setzt uns unter Druck.«
Soweit
ist es in Stralsund aber noch nicht. Genau das ist ja das Problem. »Im
Moment haben wir niemanden, wo wir raufhauen können«, sagt Betriebsrat
Fischer, »aber das wird sich schon noch herauskristallisieren. Kann
sein, die Leute fragen dann, warum seid ihr die ganze Zeit so ruhig
geblieben. Aber im Moment ist das noch nicht so richtig greifbar.« Über
1300 Menschen arbeiten hier, 1000 davon sind in der IG Metall. Bis Ende
Oktober wird noch Insolvenzgeld gezahlt, bis dahin sollte ein Investor
eingestiegen sein. Verschiedene Namen sind momentan im Gespräch,
Interessenten aus Rostock, Bremen und Abu Dhabi.
Der
Betriebsrat setzt auf eine Insolvenz in Eigenverwaltung, um das
Unternehmen zu retten. Der Antrag ist gestellt, aber noch hat das
Amtsgericht Stralsund nicht entschieden. Fürs erste wurde ein externer
Insolvenzverwalter eingesetzt.
Am heutigen Donnerstag
tagt in Schwerin der Gläubigerausschuß, von dessen Votum es abhängt, ob
es eine sogenannte Planinsolvenz in eigener Regie geben kann.
Hauptgläubiger ist das Land Mecklenburg-Vorpommern. »Wir könnten hier
alles einschweißen und Sellering vor die Tür legen«, sagt
Betriebsratsvorsitzender Jürgen Kräplin. »Das Land steckt hier mit 500
Millionen drin.« So funktioniert der Schiffbau: Der Kunde, die Reederei
XY, bestellt ein Schiff und leistet eine Anzahlung von fünf Prozent. Der
»Rest« wird fällig bei Lieferung, also Stapellauf. »Bis dahin brauchst
du aber eine Zwischenfinanzierung. Das lief alles über
Landesbürgschaften. Die Banken sind null Risiko eingegangen, haben aber
Zinsen im zweistelligen Bereich kassiert«, berichtet Kräplin.
»Investoren haben immer nur die Hände aufgehalten. Die Landesvertreter
haben die Hoffnung gehabt, sie kriegen ihr Geld irgendwann wieder. Ich
habe immer gesagt, schlagt euch das aus dem Kopf.«
Und
wenn die Planinsolvenz kommt – was dann? »Ein Schnitt muß gemacht
werden«, sagt Kräplin. Und: Keine der beiden P+S-Werften – Volkswerft in
Stralsund, Peenewerft in Wolgast – sei momentan allein überlebensfähig.
Arbeitsplatzabbau werde es in jedem Falle geben. Aber in
Eigenverwaltung könne man dies vielleicht mit Altersübergangsregelungen
und ähnlichen Instrumenten abfedern, das ist die Hoffnung. Keinen
abstürzen lassen, und die Werft retten. Alles andere als rosige
Aussichten, aber mehr, als hier viele noch für möglich halten. »Keine
Polemik, sondern klare Signale« aus Berlin und Schwerin, das wünschen
sich die Schiffbauer jetzt. »Versprechen haben wir ’nen ganzen Sack
voll«, sagt Kräplin. »Den kriegen wir gar nicht weggetragen.«