Ich hab in den
letzten 25 Jahren eine Menge verschiedener Sachen gemacht, die man
als Journalist so macht, aber meine Lieblingsdisziplin ist immer
noch, durchs Land zu fahren und Geschichten über unspektakuläre
Leute zu schreiben – Arbeiter, Flüchtlinge, Hinterwäldler aller
Couleur. Anders als Politiker, Künstler, Wissenschaftler oder
Menschen, die irgendwas verkaufen wollen, drängeln sie sich nicht
nach vorn. Im Gegenteil, sie haben ein gewisses Grundmisstrauen
gegenüber »der Presse«, das nach meiner Wahrnehmung in den letzten
Jahren eher größer geworden ist.
Verwunderlich ist
das nicht. Seit wir das Internet und vor allem die »sozialen Medien«
haben, achten Leute viel penibler auf ihre Privatsphäre. So
leichtfertig wie noch vor 15 Jahren lässt sich heute niemand mehr
fotografieren. Wer nicht ohnehin schon eine Person des öffentlichen
Interesses ist, möchte seinen Namen lieber nicht in der Zeitung
(also im Netz) wissen.
Der andere Punkt
ist, dass sie Journalisten – wenn überhaupt – entweder nur als
wuselnde Akkordarbeiter einer Medienindustrie wahrnehmen, die Ihnen
unverständlich, aber suspekt vorkommt (womit sie intuitiv
vollkommen richtig liegen) oder aber als Teil der - ihnen nicht minder suspekten - Eliten. Mit
letzterem Typus kommen sie in ihrer Welt zwar nur sehr selten,
wenn überhaupt, in Berührung, aber falls doch, ist es für sie
selbstverständlich, dass zwischen ihnen und diesen
»Alpha-Journalisten« eine unüberbrückbare Kluft liegt, die sich in den letzten Jahren rasant verbreitert hat.
Das Verrückte ist,
dass die meisten dieser Leute, über die ich in den letzten 25 Jahren
geschrieben habe, wenn sie meine Zeilen dann gelesen haben, mit einer für mich immer wieder überwältigenden
und anrührenden Dankbarkeit reagiert haben (jedenfalls wenn ich mir
keine groben Fehler in meinem Job erlaubt und keinen Unfug
über sie geschrieben habe).
Der Grund ist vermutlich, dass die bloße Tatsache, dass jemand über sie schreibt, für sie buchstäblich etwas »Unmöglich-Reales« darstellt. Ich rede nicht von der naiven Begeisterung von Schulkindern, die sich freuen, wenn sich ein Reporter der Lokalzeitung über ihr Sportfest berichtet (»sogar die Presse war da«). Es scheint mir mehr als das, es ist eher, dass ihr Handeln, ihre Gedanken und Gefühle, ja ihre Existenz, dadurch dass sie Teil einer Erzählung werden, eine Bedeutung erhalten, die vorher nicht da war. Und das ist wirklich umwerfend, denn die Frage, wie bedeutend oder unbedeutend das Leben all dieser Leute ist, hat nicht das Geringste mit mir zu tun und sicher nicht mit einer auf billigem Papier gedruckten Zeitung, in die morgen geräucherter Fisch eingewickelt wird. Und doch gibt es zweifellos diese Magie des geschriebenen Wortes, einer Story, eines Handlungskerns, die ein paar Dinge im chaotischen Universum ins richtige Licht rückt und in eine sinnvolle Ordnung bringt - oder sagen wir: Es ist eher so, dass der Job des Reporter darin besteht, diesen Sinn auszugraben, wie der Paläontologe ein Fossil freilegt. Manchmal braucht man einen Bagger, manchmal einen feinen Pinsel und manchmal Dynamit.
Mir gehen an dieser
Stelle die Zeilen meines Kollegen Barista Uno aus Manila nicht aus
dem Kopf, Worte, die so geschliffen kantig und klar sind, dass ich
wünschte, ich hätte sie geschrieben: »Man schreibt weiter in der
Hoffnung, dass die Leser beginnen, die Dinge in einem anderen Licht
zu sehen. Es ist, als würde man ein Fenster für andere öffnen. Die
Alternative ist, mit dem Schreiben aufzuhören, das Fenster zu
schließen und in einem dunklen Raum zu resignieren.«