Kubas KP sieht Mentalitätswandel in den eigenen Reihen als
notwendig für das Überleben der Revolution an. Ein Besuch im
Zentralkomitee der PCC
Von Jörn Boewe, Havanna, junge Welt, 14. Feb. 2012
Das Zentralkomitee der Kommunistischen Partei
Kubas hat seinen Sitz in einem militärischen Sperrgebiet am Rande der
Plaza de la Revolución im Zentrum der Hauptstadt Havanna. Da wir eine
Einladung des Sekretärs der Internationalen Abteilung, Noel Carrillo
Alfonso, haben, ist es uns möglich, das Gebäude zu betreten, aber
fotografieren dürfen wir nicht.
Dürften wir, würde man
auf den Bildern eine Art Bunker der imposanteren Art sehen, der sehr
realsozialistisch anmutet, obwohl er es gar nicht ist. Das Gebäude wurde
bereits unter der Batista-Diktatur errichtet. Überhaupt scheinen hier
viele Dinge auf den ersten Blick anders, als sie sind. Will man zu ihrem
Grund durchdringen, kostet es ein bißchen Zeit, Empathie und Suerte,
wie man hier sagt, was soviel wie Glück bedeutet, aber nicht jenes
Glück, das einem zufällt (das heißt Fortuna), sondern jenes, für das man
sich anstrengen muß und ein bißchen Geschicklichkeit braucht.
Wir
passieren einen Kontrollposten, der überprüfen muß, ob wir tatsächlich
angemeldet sind, und betreten einen Konferenzraum. Carrillo, der
jW-Lesern auch von der diesjährigen Rosa-Luxemburg-Konferenz bekannt
ist, ist ein eloquenter, gebildeter und bescheidener Mensch. Von
Arroganz der Macht, die bei einem einigermaßen hoch angebundenen
Funktionär einer Staatspartei nicht überraschen würde, keine Spur.
»Batista
hat dieses Gebäude bauen lassen«, sagt Carrillo, fast, als müßte er
sich für die Präpotenz der Architektur entschuldigen. »Er hat es aber
nicht mehr nutzen können.« Damals, vor mehr als einem halben
Jahrhundert, nahm die Geschichte hier eine jähe Wendung. Aber auch heute
stehen den Kubanern Veränderungen ins Haus, erklärt der ZK-Sekretär.
Ende Januar tagte die Parteikonferenz der Kommunisten, die wichtigste
Versammlung zwischen den Parteitagen.
In gewisser Weise
hat die Konferenz die vor einem Jahr auf dem sechsten Kongreß der
Partei begonnene Debatte über den künftigen Kurs der Republik
fortgesetzt. »Der Parteitag hat sich damals vor allem mit
Wirtschaftsfragen beschäftigt«, berichtet Carrillo, »auf der Konferenz
standen politische Fragen im Fokus.« Offensichtlich bemüht sich die
Partei, ihre Rolle bei der Umsetzung der anvisierten Wirtschaftsreformen
neu zu definieren. Es ist nicht schwer zu merken, daß ihr das nicht
leichtfällt. Bisher hätten sich Parteifunktionäre in alle möglichen
Aufgaben der öffentlichen Verwaltung eingemischt, was die Autorität der
staatlichen Behörden geschwächt habe. Damit soll Schluß sein, sagt
Carrillo: »Die Partei darf nicht administrieren, sondern muß
kontrollieren.« Worin der Unterschied in der Praxis konkret bestehen
wird, ist nicht ganz klar, aber Carrillo ist es ernst: »Bislang war es
so, daß die Kader der Partei immer auf Entscheidungen von oben gewartet
haben. Jetzt sind – notgedrungen! – Initiativen der Basis gefragt. Ein
enormer Mentalitätswandel sei nötig. Wenn die Partei den nicht erreiche,
bekomme man große Probleme.
Dummerweise ist
dieser Wunsch nach einem Mentalitätswandel zunächst auch nur eine
Anweisung von oben. »Die Leute sollen ihre Chefs kritisieren«, sagt
Carrillo, »und die Partei soll absichern, daß es keine Repressionen
gibt, denn der Chef hat immer Macht«. Dies trifft zu, aber es trifft auf
Chefs jeder Branche und Hierarchiestufe zu – und auf Parteisekretäre
nicht minder. Es mutet ein bißchen an wie die Quadratur des Kreises:
Gezwungenermaßen greifen die Revolutionsführer um Präsident Raúl Castro
bei ihrem Wunsch, den Dingen einen neuen Drive zu geben, auf den
einzigen Apparat zurück, der ihnen zur Verfügung steht. Und dieser ist,
daraus macht Carrillo keinen großen Hehl, leider ein Teil des Problems.
»Wir müssen eine Partei werden, die weniger bürokratisch ist und stärker
an der Basis.«
Immerhin: Der Anspruch, das
Unmögliche zu versuchen, war bekanntlich schon eine Maxime eines der
historischen Führer dieser Revolution, des Argentiniers Ernesto Che
Guevara. Deutlich ist aber auch: Mit strukturellen Veränderungen tut man
sich schwer. »Im Rahmen der Revolution muß Raum für Kritik sein«, sagt
Carrillo, schiebt aber sofort nach: »Wir wollen keine Meinungsanarchie«.
Am Einparteiensystem werde nicht gerüttelt, stellt er klar. Dies wird
sowohl mit den außenpolitischen Gegebenheiten, der konfrontativen
Haltung des US-Imperialismus, als auch mit historischen Eigenheiten
begründet. »Wenn wir ein Mehrparteiensystem zulassen würden, wäre in
unserer geopolitischen Situation eine Außenfinanzierung bestimmter
Parteien und ein Auseinanderbrechen der Revolution unausweichlich«, sagt
Carrillo.
Die historische Begründung ist
weniger plausibel. Auch der Unabhängigkeitskampf sei durch eine einzige
Partei geführt worden, das System von Einheitsparteien habe
darüberhinaus eine starke Tradition in Lateinamerika und im
antiimperialistischen Kampf auch über Kuba hinaus.
Die
Argumentation ist natürlich etwas zurechtgebogen: Zwar hatte sich die
Bewegung gegen die spanische Kolonialherrschaft im 19. Jahrhundert
tatsächlich in der »Revolutionären Kubanischen Partei« vereinigt. Die
kubanische Revolution 1959 jedoch wurde geführt von drei unabhängigen
Parteien der antiimperialistischen Linken: Der Bewegung 26. Juli der
Castro-Brüder, dem Revolutionären Studentendirektorium und der
kommunistischen Partei, die sich damals Sozialistische Volkspartei
nannte. Letztere spielte, entgegen aller marxistisch-leninistischen
Orthodoxie, nicht die Hauptrolle. Die heutige Kommunistische Partei
entstand erst Jahre nach dem Sieg der Revolution durch den
Zusammenschluß der drei Organisationen.
Heute hat die
Einheitspartei Carrillo zufolge rund 800000 Mitglieder. Auf ihrem
letzten Kongreß vor einem Jahr waren rund 2000 Delegierte vertreten. Das
Zentralkomitee hatte bis zu diesem Zeitpunkt noch rund 200 Mitglieder,
heute, nach einer Verkleinerung sind es noch 115. Die zentralen
Entscheidungen fallen im Politbüro, das aus 15 Leuten besteht. In den 53
Jahren seit dem Sieg der Revolution hat die Partei nicht mehr als sechs
Kongresse abgehalten, zwischen dem vergangenen und dem fünften
Parteitag lagen ganze zwölf Jahre.
»Die
Partei hatte beschlossen, keinen Kongreß durchzuführen, solange man
keinen Vorschlag für die langfristige Entwicklung hat«, lautet Carrillos
Begründung. Ein solches Konzept liege nun vor. Die Zahl der kleinen
Selbständigen, jener, die »auf eigene Rechnung« arbeiten oder, etwas
prosaischer ausgedrückt, der informelle Sektor, gewinnt an Bedeutung.
Dies ist eine Notlösung, denn die Zahl der Angestellten im öffentlichen
Dienst und den staatlichen Industrien wird weiter sinken. »Wir haben
heute schätzungsweise rund 300000 Selbständige«, sagt Carrillo. »Ende
des Jahres werden es mehr als eine halbe Million sein.«
Nicht
inbegriffen sind in dieser Rechnung ganz offensichtlich jene, die
irgendeinem kleinen »Bisnes« nachgehen, um ihre Rente oder ihr Gehalt
durch einen kleinen Zuverdienst in konvertiblen Pesos (CUC)
aufzubessern, und das ist praktisch jeder, der nicht auf reguläre Weise,
was immer das sein mag, an CUC herankommt. Kuba hat ein System der
Doppelwährung. Ostdeutsche, die die Mitte 30 überschritten haben, denken
in diesem Zusammenhang vielleicht an die Zirkulation von D-Mark und den
berüchtigten konvertiblen »Forumschecks« in der DDR der 80er Jahre. Es
gab Witze dieser Art: Wenn du einen Handwerker rufst, fragt er dich
»Forum geht's?«
Tatsächlich ist die
Situation nicht vergleichbar. In der DDR der 80er Jahre waren bestimmte
Luxusgüter und Dienstleistungen ohne »harte« Währung schwer und
teilweise nicht zu bekommen. Kubaner kommen ohne CUC nicht durch den
Alltag. Dies ist eine Erfahrung, die uns hier immer wieder glaubhaft
berichtet wird. Die Situation ist äußerst frustrierend und
demoralisierend, wie Carrillo bestätigt. »Alle, die heute jünger als
vierzig Jahre sind, haben ihr gesamtes bewußtes Leben im Zeichen der
Krise verbracht.« Mit dem System der doppelten Währung sei »Korruption
ein großes Problem« geworden: »Wenn wir die Schlacht gegen die
Korruption nicht gewinnen, verlieren wir die Revolution.« Linie der
Partei sei, »daß in diesem Zusammenhang niemand unberührbar ist. Wir
müssen erreichen, daß die gesamte Bevölkerung und insbesondere die
Jugend die Erneuerung (Actualización) der Revolution als ihre
Herzensangelegenheit betrachtet.«